Die Zampanos

Der House-Erfinder Marshall Jefferson und der Techno-Breitwander Claude Young  ■ Von Holger in't Veld

Beschreiben Sie ein House- Stück. Da wäre der dicke, warme Beat in 4/4, eine kuschelige Bass-Linie, die als Itze-Itze bekannte HiHat und ein zusätzliches rhythmisierendes, digitales oder analoges Klatschgeräusch. Was fehlt? Gesang? Möglich. Aber vor allem fehlt die kleine, schlichte Piano- oder Keyboard-Melodie.

So dachte im Jahre 1986 auch der damals 27-jährige Chicagoer Marshall Jefferson, schritt zur Tat und gab dem bis dato kleinformatigen und abstrakten Disco-Bastard die hymnische Breitenwirkung. Das dazugehörige Stück, dem das Groß-Genre Dance ebenso viel verdankt wie der Indie-Rock „Smells Like Teen Spirit“, hat gleich zwei signifikante Titel. Von Jefferson „Move Your Body“ benannt, wurde es schnell zur „House Music Anthem“ – Körper, House und Hymne waren von nun an analogisiert. Die auf dieses weit über Chicago hinausstrahlende Großereignis folgenden vier Jahre lang war Jefferson die definitorische Instanz, der seine Hände sowohl in der Geburt von Acid House (Phutures Acid Trax) hatte wie auch mit Ten City die ers-te als Band funktionierende House-Formation und mit Kym Mazelle die erste House-Diva in das Entertainment-Karussell warf.

Verlängern wir die durch Technos und Drum'n'Bass nur geringfügig unterbrochene bzw. abgewandelte Kette von Folgereaktionen zweimal um die Welt, so landet der mehrfach hin- und zurückmutierte Körperkult irgendwann bei den Disco Boys Gordon Hollenga und Raphael Krickow, die sich anschicken, mit ihrem zur schönen Regelmäßigkeit erwachsenden Discodrome-Club Hamburg einen Ort für ausladende Körperlichkeit und Opulenz zu geben. Hierfür wird kurz vor Ende des Jahrzehnts noch einmal der rote Teppich gen Chicago ausgerollt.

Claude Young, der andere namhafte Gast am Millerntorplatz 1, gehört zu den im Sinne der Innovation Nachgewachsenen. Mit Jeffersons House teilt er sich die weiche synthetische Subfrequenzlinie, ansonsten zieht es ihn zu jener populären Mischung aus ätherischem Bombast und digitalen Pieksern, die irgendwo zwischen Techno, Trance und House verortbar ist und sich alles nimmt, was sie für den Effekt braucht. Sein Vorbild ist sicherlich nicht Jefferson, sondern eher Derrick May oder Jeff Mills, was sich schon durch Youngs Herkunft bedingt. Sein Ursprung ist auf der anderen Seite des Lake Michigan in der noch mehr als Chicago mythologisierten Motor-City Detroit, was innerhalb des reichlich besetzten DJ-Zirkels einem Adels-Titel gleichkommt.

Wie Mills sieht sich Young als DJ in HipHop-Tradition, der lieber einen Break oder Scratch verreißt, als ihn nicht probiert zu haben. Anders als bei der Techno-Ikone weichen bei ihm aber innerhalb dieses handwerklichen Gerüsts die feinziselierten Genres auf. Detroit ist cool, aber da ist noch eine große Welt draußen, die im Cut & Paste, im Aufgreifen und Anordnen verarbeitet werden will. Ganz Kind der 90er, hat sich Claude Young dem beständigen Wechsel statt der reinen Lehre verschrieben.

Daraus resultieren in einem Alter, in dem Jefferson seinen ersten Track fertig hatte, knapp 50 Veröffentlichungen und eine Affinität zu Brian Eno und Paul Schütze, bei denen er Streicher und ambiente Flächigkeit mit Erwachsenheit bzw. Zeitlosigkeit gleichsetzt. Konsequenterweise hat der Suchende Techno-Town verlassen und lebt seit einem Jahr im eklektischen Mekka London. Wieviel von dem dort vorherrschenden Sud aus abgebremstem HipHop, aufgeblasenem Soul und Breakbeats in die längst nicht mehr wahre Detroitsche Lehre einfließt, wird beim Kofferpacken entschieden. Mar-shall Jeffersons Tasche dürfte seit Jahren die gleiche sein.

Marshall Jefferson: Fr, 3. Dezember Claude Young: Sa, 18. Dezember, jeweils 23 Uhr, Phonodrome