Verharmlosung durch Verschleiß

■ Ein kleiner Skandal scheint vorprogrammiert: Christina Paulhofer inszeniert die Uraufführung von Peter Jonigks Missbrauchs-„Komödie“ Täter im Malersaal

„Was hast du jetzt wieder angestellt!“ sagt Karin. „Gefickt und abgespritzt“, sagt Erwin. „Das dulde ich nicht! Schon wieder auf den Teppich. Wie oft soll ich noch sagen, du sollst aufpassen! Es läuft immer wieder aus ihr raus!“ sagt Karin. „Halts Maul!“ sagt Erwin. „Mich findest du wohl überhaupt nicht mehr schön“, sagt Karin. „Ach, leck mich“, sagt Erwin. „Darf ich wirklich?“ fragt Karin. –

So schaut es aus bei Thomas Jonigk, wenn ein Vater seine Tochter vergewaltigt und die Mutter dabei zur Mittäterin wird. Ist es nicht so, dass in der Kunst die monströse Überzeichnung von Missständen der Königsweg der Kritik ist? Dass das berühmte Lachen, das dem Zuschauer im Halse stecken bleibt, im Theater die erkenntnisförderndste Reaktion von allen ist, die hervorzurufen deshalb mit besonders viel Ruhm verbunden ist? – In seinem Stück Täter, das jetzt im Malersaal des Deutschen Schauspielhauses zur Uraufführung kommt, sucht der „Nachwuchsdramatiker des Jahres 1995“ (Theater heute) mit erheblichem Aufwand nach einem schockierend unterhaltsamen Weg zum Thema sexueller Missbrauch in der Familie. Er verirrt sich heillos.

Jonigks Stückwelt ist hübsch separiert in Eltern und Kinder, wobei alle Eltern Täter und alle Kinder Opfer sind. Zwischendrin in dieser Collage aus 26 Szenen treten unvermittelt dreimal eine Schäferin und ein Schaf in kurzen beschwingten Dialogen auf, wie um noch einmal zu unterstreichen: Hier wird weder eine Geschichte nach den alten Regeln des Psychodramas erzählt, noch handelt es sich um ein reality play. Tatsächlich aber pochen viele Dialogsequenzen – bei aller Groteske der Handlung – auf ihre Verwurzelung im sogenannten richtigen Leben. Viel weniger als in seinen ersten drei Stücken Von blutroten Sonnen, die am Himmelszelt sinken, Rottweiler und Du sollst mir Enkel schenken setzt er seine Distanz schaffende, kühl kalkulierte Kunstsprache ein. So dominiert das banal Klischeehafte (hauptsächlich bei den Täterfiguren), und das häufigste Gefühl beim Lesen dieser „Komödie“ (Jonigk) ist eine Art betretene Peinlichkeit, die dummerweise auf den 33-jährigen Autor zurückfällt.

Jonigk, der mit dem neuen Baseler Schauspieldirektor Stefan Bachmann in Berlin das Theater Affekt gegründet hatte, bis vor kurzem als Chefdramaturg am Wiener Schauspielhaus tätig war und eigentlich keine Familienstücke mehr schreiben wollte, schießt weit übers Ziel hinaus. Dea Lohers Stück Tatöwierung ist immer noch der adäquateste dramatische Kommentar zum Thema; dagegen wirkt Täter plump und bar jeglichen Einfühlungsvermögens. Es ist weder schockierend noch unterhaltsam und neigt mit seinem stets das Naheliegendste suchenden Zynismus sogar zur Verharmlosung durch Verschleiß von hässlichen Fakten. Keine leichte Aufgabe also für die Regisseurin Christina Paulhofer, die bislang vor allem am Schauspielhaus Bochum arbeitete. Ein kleiner Skandal scheint vorprogrammiert. Ralf Poerschke

Premiere: Mittwoch, 8. Dezember, 20 Uhr, Malersaal