An Schröder gedacht

From Russia With Love: Claudia Brier (diplom-)inszeniert Schillers Dramenfragment „Demetrius“ auf Kampnagel  ■ Von Karin Liebe

Schillers letztes unvollendetes Drama Demetrius erzählt vom Aufstieg und Fall eines angeblichen Zarensohns, dem der späte Glaube an seine adelige Herkunft Flügel verleiht – und der kläglich scheitert, als er erfährt, dass er doch nicht der Sohn des Zaren ist. Unter dem Titel From Russia With Love inszeniert Claudia Brier das Fragment auf Kampnagel – als Abschlussarbeit des Studienganges Schauspiel-Theater-Regie der Universität Hamburg. Ein Gespräch mit der 25-Jährigen.

taz hamburg: Warum haben sie sich ausgerechnet ein Fragment ausgesucht? Haben sie eine Affinität zum Unvollendeten?

Claudia Brier: Im Gegenteil, erst hat mich das Fragmentarische gestört. Aber der Stoff ist das Spannendste, was mir seit langem in die Hände gefallen ist.

Was fasziniert sie daran?

Es geht um einen jungen Menschen, der zunächst nichts ist und nichts hat, aber der eine große Chance in seinem Leben bekommt. Er könnte Zar werden und ein Land regieren. Viele Menschen glauben an ihn und seine Ideale und unterstützen ihn. Aber in dem Moment, wo er an die Macht kommt, passiert rein gar nichts. Das erinnert mich an die Gesellschaft, in der ich lebe.

Was meinen Sie damit?

Ich hatte beim Lesen des Stücks sofort ein Bild von Tony Blair oder Gerhard Schröder vor Augen. Es scheint egal zu sein, auf welcher Seite man steht, weil sie sich gar nicht mehr unterscheiden. Bei Schiller vergisst Demetrius seine Herkunft, seine Freunde, die Menschen, die ihn an die Macht gebracht haben.

Inwiefern verrät er seine Ideale?

Als er den Anspruch auf den Zarenthron erhebt, sagt er, er will aus Sklaven Menschen machen und demokratischere Strukturen in Russland einführen. Doch sobald er erfährt, dass er gar kein Zarensohn ist, verliert er den Glauben an sich. Aus heutiger Sicht würde ich sagen: Er hat sich nur an hohlen Pres-tigesymbolen aufgehängt und wollte nicht wirklich Verantwortung übernehmen.

Vielen Absolventen ihres Studienganges bereitet es Lust, Klassiker zu zerstückeln. Ihnen auch?

Es ist schwierig, ein Fragment noch weiter zu zerstückeln. Ich möchte schon eine Geschichte erzählen. Dazu braucht man weder Kommentare noch Ironie oder permanente Brechung. Wir arbeiten nur mit Schillers Sprache. Natürlich wäre es oft einfacher, sie umgangssprachlich zu übersetzen. Das würde es zwar klarer machen, aber auch banaler. Sich an Schiller abzuarbeiten birgt auch die Chance, eine wirkliche Fallhöhe zu bekommen, von der aus die Personen tatsächlich scheitern.

Lassen Sie das Fragment mit dem Ende der Originalfassung abbrechen?

Nein, ich habe es mit Schiller zu Ende geschrieben. Er hat das Stück in Skizzen und Vorstufen fertig konzipiert. Aus diesen Dialogfetzen haben wir manchmal größere Passagen, manchmal ein, zwei Sätze genommen. Schillers Sprache ist sehr karg, gar nicht überladen und pathetisch, wie man ihm oft vorwirft – und sehr modern.

Was ist modern am Stoff des Demetrius?

Es geht um die Frage, was es bedeutet, jung zu sein. Man vergisst heute so schnell, auch Freunde. Man zieht in andere Städte, wechselt den Beruf, lernt Menschen über Smalltalk und Kaffeeklatsch kennen. Daraus resultiert die Kälte im Umgang miteinander, dieses Schnöde und Zynische. Demetrius ist weder in der Lage, sich das Neue anzueignen, noch zurückzugehen zu seinen früheren Freunden. Vorne leer und hinten leer. Die Frage ist, ob man immer wieder einen neuen Kick braucht, damit das Leben spannend bleibt, oder ob man zufrieden ist mit dem, was man hat. Man muss sich entscheiden.

Premiere: Freitag, 3. Dezember, 19 Uhr, k2, sowie am 4. und 5. Dezember