Chaos gehört zum Beruf

■ SortierDienst sorgt seit einem Jahr erfolgreich für Ordnung / NachahmerInnen stürzen sich auf Unternehmensnische / Professionelles Aufräumen zum Verschenken

Wer kennt sie nicht: die unsortierten Stapel in den Ecken und auf dem Schreibtisch. Kartons voller Papier, Rechnungen, Prospekte und Fotos türmen sich – Sammlungen vergangener Monate, gar Jahre. Mahnungen flattern ins Haus, Einladungen und Briefe sind verschollen. Und das, obwohl die Deutschen als so ordentlich gelten. Vor einem Jahr machte sich eine pfiffige Existenzgründerin auf, um dem Chaos ein Ende zu bereiten. Die taz hat bei Andrea Kaldewey nachgefragt, ob es den Bremer SortierDienst noch gibt.

„Oh ja, mehr denn je!“, antwortet die fröhliche Frau mit kräftiger Stimme am anderen Ende der Leitung. In Bremen sei sie inzwischen recht bekannt. Außerhalb Norddeutschlands gebe sie sogar Seminare für NachahmerInnen. Die ers-ten sechs Frauen hätten sich gerade selbstständig gemacht. Von der Gewerbeanmeldung über Zeitmanagement, Büro- und Sortiersysteme bis zum abschließenden Kundengespräch könne man alles bei ihr lernen, sprudelt es aus der 41-Jährigen heraus. „Ich will es nicht zu hoch hängen“, sagt sie bescheiden, aber inzwischen „habe ich viel Routine und Erfahrung“.

Seit ihrer Kindheit sortiert Andrea Kaldewey Rechnungen, Kontoauszüge, Briefe, Zeitungen und Kataloge. Für Ordnung sorgte sie im Geschäft ihrer Eltern genauso wie im Betrieb ihres Mannes. Vor einem guten Jahr beschloss sie, statt eines feuchten Händedrucks mit ihrer Dienstleistung Geld verdienen zu wollen. Ihre KundInnen kommen aus den unterschiedlichs-ten gesellschaftlichen Bereichen. Vor allem sind es aber ÄrztInnen, Lehrer- und JournalistInnen, die den Bremer SortierDienst privat wie beruflich in Anspruch nehmen. Aber auch Menschen aus dem Rotlicht-Millieu oder Vorstandsvorsitzende wenden sich mit der Bitte, die Steuererklärung vorzubereiten oder das allgemeine Papierchaos auf dem Schreibtisch oder in den Zimmerecken zu beseitigen an die ehemalige Augenoptikerin.

Diskretion sei oberstes Gebot, und niemand brauche sich für sein Durcheinander zu schämen, sagt Andrea Kaldewey. „Und in Gottesnamen nicht vorsortieren“, fügt sie hinzu. „Das lohnt sich nicht, ich nehme sowieso jeden Zettel drei Mal in die Hand.“ Kein Chaos war bisher groß genug, um sie zur Kapitulation zu zwingen. Beim Betreten der Wohnung einer Sammelwütigen blieb ihr im Flur gerade noch ein schmaler Durchgang. Nirgends konnte man sich in der Wohnung hinsetzen, erinnert sie sich. „Da stockte mir schon der Atem.“ Energisch sammelte sie jedoch die für den Sortierauftrag nötigen Unterlagen zusammen und fuhr in das winzige Arbeitszimmer ihres Reihenhauses. Ein bis zwei Aufträge kann sie dort parallel bearbeiten, im Flur stapeln sich die Kartons der Kunden. Pinneberg, Wilhelmshaven, Oldenburg, Hannover, Berlin: Neulich brachte der Paketdienst Unterlagen aus der Eifel. Für eine Firmenchronik waren Rechnungen aus dem letzten Jahrhundert und Geschäftsdokumente zusammengetragen worden. Nun musste alles wieder sortiert werden.

Manchmal wird die professionelle Aufräumerin auch verschenkt. Im Sommer heuerte sie eine Frau an, um während des Urlaubs die Mahnungen, Briefe, Zeitungen und Rechnungen des unwissenden Gatten zu ordnen. Die Haushälterin ließ Andrea Kaldewey ins Arbeitszimmer, den besagten Gatten hat sie nie gesehen. „Der Anteil der Chaoten ist gering“, sagt Andrea Kaldewey. Meist entstünde das Durcheinander aus Zeitmangel. Oft helfe eine vernünftige Systematik und Grundsortierung. Dann kämen die KundInnen auch ohne sie wieder klar. Beate Hinkel

Der Bremer SortierDienst ist unter 0421/44 59 43 zu erreichen.