"Ich heiße Anne und bin 16"

■ Die ehemalige AL-Jugendsenatorin Anne Klein flüchtete ins Autonome Mädchenhaus und wollte dort bleiben - solange ihre Eltern nicht, wie vom Senat geplant, für ihre Unterbringung bezahlen müssen: "Projekt ist ge

„Ex-Senatorin flüchtete ins Autonome Mädchenhaus“ – mit dieser Ankündigung hatte das Mädchenhaus zur Pressekonferenz gelockt. Da saß sie dann tatsächlich, die ehemalige AL-Frauen- und Jugendsenatorin Anne Klein, und begehrte schüchtern, hier auch schlafen zu dürfen: „Ich bin Anne, ich bin 16, und zu Hause ist alles Scheiße.“

„Erst mal kannst du hierbleiben“, beruhigte sie eine der Sozialarbeiterinnen in einem ersten Kontaktgespräch. „Du bist von zu Hause weggelaufen, das war der größte Schritt, und alles andere wird sich zeigen. Bloß deine Eltern müssen wir informieren, du bist ja noch minderjährig.“ Anne, ganz erschrocken: „Nein! Die drehen durch! Die kommen und holen mich ab.“ Die Sozialarbeiterin beschwichtigend: „Du kannst dich drauf verlassen, unsere Adresse bekommen sie nicht. Und ich sage ihnen auch nur das, was du möchtest.“ Anne sehr besorgt: „Und was kostet das hier?“ „Du mußt nichts bezahlen. Solange du nicht länger als einen Monat bleibst, zahlt der Senat 20 Mark pro Tag für dich.“

Aber im nächsten Jahr werden die Eltern zahlen müssen, wenn die Sozialsenatorin nicht noch ein Machtwort gegenüber ihrer eigenen Verwaltung spricht, gibt die Mitarbeiterin mit besorgter Miene kund. Anne findet das schrecklich: Dann würden die Eltern sie noch entschiedener zur Rückkehr zwingen, womöglich auf gerichtlichem Weg, und sie wolle doch endlich in Ruhe überlegen, wie und wo sie weiterleben wolle.

Anne Klein, die durchaus über gewisse schauspielerische Talente verfügt, ist in Wirklichkeit eher Mama als Mädchen: Als Jugendsenatorin der rot-grünen Koalition war sie Gründungsmutter jenes Projektes, das am Sonntag seinen fünfjährigen Geburtstag feiert. Die seit damals geltende Pauschalfinanzierung soll nun aber im nächsten Jahr zugunsten von Pflegesätzen zurückgenommen werden, die die Jugendämter bei den Eltern eintreiben. „Vom politischen Inhalt her ist das Projekt damit immens gefährdet“, findet Klein. Erfahrungen mit dieser Finanzierungsform in anderen Bundesländern zeigten, daß „nicht mehr die Mädchen über den Aufenthalt entscheiden können, sondern die Jugendämter“, ergänzten die Mitarbeiterinnen. Die Mädchenhäuser drohten bei dieser Art der Finanzierung zu Heimen zu werden.

Auch sonst ist die fünfjährige Geschichte des Mädchenhauses eine Geschichte des Sparens. Die Pauschalfinanzierung wurde gekürzt, Stellen fielen weg, Tariferhöhungen wurden nicht bewilligt. „Zu Gründungszeiten waren wir zu zweit in unserem 24-Stunden- Dienst, jetzt arbeiten wir immer allein. Das heißt: Wenn ein Mädchen Tabletten schluckt und ins Krankenhaus gebracht wird, muß ich alle anderen Mädchen mitnehmen“, berichtete eine Sozialarbeiterin. Dabei sei der Bedarf nach solchen Zufluchtsstellen unverändert groß: In fünf Jahren mußten 800 Mädchen wegen Überfüllung abgewiesen werden. 300 wurden aufgenommen, weitere 700 wurden am Krisentelefon beraten (Tel.: 7920404).

Nichtsdestotrotz soll das fünfjährige Bestehen am Sonntag mit einem Benefiz-Frauenfest kräftig gefeiert werden: ab 18 Uhr im Pfefferberg, mit Film, Tanz, Frauenchor, Akrobatik und dem Musikkabarett „Zwei Drittel“. Außerdem zeigt das Mädchenhaus seine Ausstellung „Wege des Ausbruchs“ noch einmal: von 26. 9. bis 7. 11. in der Neuen Schönhauser Straße 20 in Mitte. Ute Scheub