Gegentore wegen Pinkelns

■ Bei der E1-Jugend des FC. St. Pauli wird Wert auf Technik gelegt: Wer seine Schuhe nicht korrekt bindet, muss eine Disziplinarstrafe von einer Mark aus seinem Taschengeld bezahlen

Bitterkalt und neblig ist es, als die E1-Jugend des FC. St. Pauli zum letzten Freiluft-Spiel der Saison aus den Millerntor-Katakomben tritt. Bevor sie zum Grandplatz hinter der Nordkurve stiefeln, werfen die Zehnjährigen noch einen letzten Blick auf ihre Fußballschuhe: „Es kostet eine Mark, wenn sich jemand beim Spiel die Schnürsenkel zubinden muß“, erklärt Trainer Horst Fröhlich. Zu viele Gegentore sind gefallen, weil einer seiner Spieler auf dem Boden kniete oder in höchster Not während des Spiels an einen Baum pinkelte.

Doch trotz des drohenden Taschengeld-Verlusts sind die Jugendlichen mit Spaß bei der Sache. Selbst die vier Steppke, die an der Außenlinie stehen, zupfen den Trainer am Ärmel, wenn sie finden, dass ihre Einwechslung überfällig ist. Nach fünfzig Minuten steht der Endstand fest: 13:5 besiegt St. Pauli den Altonaer Verein Teutonia 10 – und die Schnürsenkel haben zur Zufriedenheit aller gehalten.

Genau diese Freude am Spiel will Fröhlich möglichst lange erhalten: „Ich lege viel Wert auf den Spaßfaktor. Das ist das Alter, wo man noch Technik und Ballbeherrschung vermitteln kann, mit 13 ist es dafür zu spät.“ Als der Versuch von Manuel, seinen Gegenspieler auszuspielen, zum Anschlußtreffer für Teutonia 10 führt, muntert Fröhlich ihn auf: „Kopf hoch. Kann passieren.“

Worte, die ihre Wirkung nicht verfehlen, denn kurz darauf leitet Manuel den nächsten Treffer der Braun-Weißen ein. Dann ist Pause. Kevin freut sich: „Mensch, Jutta, der Torwart von denen ist ja gar nicht so gut“. Und auch die angesprochene Betreuerin, hauptberuflich Empfangsdame in der Geschäftsstelle, ist sichtlich stolz auf ihre Jungs: „Man sagt ja: Lange Torhüter, flache Bälle. Das kapieren die Kleinen ganz schnell.“

Auch Masi hat fix begriffen, warum ausgerechnet er schon wieder ausgewechselt wird. Kaum hört er seinen Namen, grinst er schuldbewusst und trottet vom Platz. Und als ihm Herr Fröhlich dann betont ernst auseinandersetzt, dass er „mehr von ihm erwartet“, entgegnet er: „Aber ich habe mir sehr viel Mühe gegeben.“ Thema durch, die Kälte zehrt an der Geduld: „Oh, Mann, freue ich mich jetzt auf eine warme Dusche.“

Irgendwann, so weiß sein Trainer, werden sich seine Jungs nicht mehr mit warmem Wasser zufriedengeben: „In der C-Jugend geht das los: Dann kommen Werber von anderen Vereinen und machen allerhand Versprechungen, und schon sind viele, die wir von Kindesbeinen an gefördert haben, weg.“ Besonders der großen rivalen HSV bietet Trainingsbedingungen, die wohl auch die Augen der Zehnjährigen aus St. Pauli zum Leuchten bringen würden: Etliche Rasenplätze im grünen Stadtteil Ochsenzoll, im neuen Jahr öffnet ein modernes Jugendinternat seine Pforten.

Und der FC ? Ein bißchen resigniert deutet Fröhlich auf das marode Stadion vor ihm: „Durch die zentrale Lage mitten in der Stadt sind unsere Trainingsbedingungen ganz schön beschränkt. Gut, dass der DFB im Jahr 2003 nur den Vereinen eine Profilizenz gibt, die mindestens zwei Rasenplätze haben“, hofft auch Fröhlich auf den geplanten Stadionneubau des Vereins. „Das einzige, was wir bis dahin in die Waagschale werfen können, ist unsere gute Jugendarbeit.“

Und die wird zumindest in den unteren Altersklassen durchweg ehrenamtlich betrieben. Für Fröhlich, der neben den Zehnjährigen auch eine C-Jugend-Mannschaft des Millerntorklubs trainiert, bleiben da Privatleben und Hobbies allzuoft auf der Strecke. Wenn er abends von seinem Job als Techniker bei der Stadtreinigung nach Hause kommt, geht es meist schnurstracks zum Training: „Seit über einer Woche müßte ich ein Brett in der Diele anbringen. Ob Sie es glauben oder nicht: Selbst für die drei Hammerschläge habe ich keine Zeit gefunden.“

Doch was bedeutet schon eine akkurate Diele im Vergleich zu dem Urvertrauen, das ihm seine Schützlinge entgegenbringen: Als Fröhlich dem frierenden Masi erklären will, wann er seinen Gegenspieler anzugreifen hat, entgegnet der treuherzig: „Das werden Sie uns im Training schon noch beibringen, Herr Fröhlich.“ Christoph Ruf