Let there be Hop

Styles, Skillz und Stereotypen: Das Münchner Musical „WestEndOpera“ auf Kampnagel  ■ Von Philip Oltermann

„Das haben sich die Jugendlichen selbst aufgebaut“: Schon zu Beginn der Premiere des HipHop-Musicals WestEndOpera drängt sich das Tocotronic-Zitat auf. Und nicht nur, weil seit einer Weile künstlerische Respektbekundungen zwischen Eimsbusch-Pathos und dem Understatement der Hamburger Schule auf den Bühnen dieses Landes Gang und Gäbe geworden sind. Die WestEndOpera haben sie sich in der Tat selbst aufgebaut: 31 Jugendliche aus 14 Nationen, die sich aus verschienen Jugendeinrichtungen der bayerischen Hauptstadt kennen. Alleinige Unterstützung und kreative Rückendeckung kam von dem Team um den ehemaligen Polit-Rocker Vridolin Enxing, der sich der kreativen Köpfe aus dem „Ghetto“ annahm und sie hier und da mit wohlwollenden Worten fütterte. „Let there be Hop“, um die drei Hamburger erneut zu paraphrasieren.

Die erste Szene der WestEnd-Opera könnte man vielleicht als Versuch verstehen, den Rückgriff auf die Klischees, die man mit einem solchen Projekt herbeiruft, zu rechtfertigen. Auf der Party zur Jahreswende 2039/40 wird eine nostalgische Modenschau zum Thema „Die Jahrtausendwende und ihre HipHop-Kultur“ mit Baggy Pants und Old-School-Sneakers präsentiert. Die Blicke einer alten Frau bleiben an einem Schriftzug auf einer Graffiti-Mauer hängen. „Cool“ ist das Schlagwort, das sie zurück ins Jahr 1999 versetzt, und war außerdem der ursprüngliche Titel des Musicals. Die Welt, in die die junge Vivian zurückversetzt wird, ist nicht nur voll von den Manierismen des Genres, sprich Breakdance, Rap-Battles und Sprayen, sondern es wimmelt auch von den Stereotypen, die man in einem Stück über Jugendkultur erwarten würde.

Die potentiell ironische Distanz, die durch den Zeitsprung geschaffen wurde, ist ebenso schnell verflogen. Und in diese Fettnäpfchen treten die Akteure auf der Bühne nicht nur freiwillig, sondern auch mit Nachdruck und beiden Füßen: Auf der Betroffenheitsliste sind die Punkte „Drogen“, „Ausländer“, „Arbeitslosigkeit“, „Kindesmiss-brauch“ und „Gewalt“ schon nach einer Stunde abgehakt. Die Handlung ist banal und seicht genug, dass man beim ungestörten Hindurchwaten gleichzeitig noch mit den erwähnten Nebenhandlungen jonglieren kann: Im Jugendklub bei uns im Ghetto ist immer alles voll korrekt, und wir machen immer derbe auf Family, bis wir vom Kommerz krass weggeflasht werden.

Verpackt und eingewickelt wird der vorweihnachtliche Kitsch kontinuierlich mit Hip und Hop. Denn Jugendkultur ist schon was Feines, denkt sich Enxing wohl hinter der Bühne. Und weil ihm jetzt endlich mal jemand anders als er selbst auf die Schulter klopft, nimmt er den Mund auch gerne ganz voll und vergleicht in seinem Enthusiasmus für deutschen Sprechgesang die „HipHopera“ mit dem, was die West Side Story, Tommy und Hair für ihre jeweilige Generation waren. „Authentizität!“ ist ein sehr beliebtes Wort im Zusammenhang mit der WestEndOpera. Denn, ja, ja, wir wollen nicht vergessen: „Das haben sich die Jugendlichen selbst aufgebaut.“ Ob Authentizität denn auch Tiefgang garantiert, fragt niemand.

Die Beschäftigung mit den „au-thentischen“ Problemen der Jugend deckt sich auf viel zu offensichtliche Weise mit Erwartungen des Publikums und ist deshalb ebenso ineffizient wie unnötig. Trotzdem darf man nicht vergessen, dass es sich hier um ein Musical handelt, das scheinbare Minus bei Inhalt und Handlung des Stückes sich also durchaus als ein verkapptes Plus in Sachen Verdaulichkeit herausstellen kann. Gleiches gilt wohl für den Umgang mit dem Klischee, denn damit dürfte ein HipHopper aus dem Land der Lederhosen sowieso keine Berührungsängste haben. Und welcher Rapper scheut sich schon vor dem Neandertaler aller Reime: „Put your hands in the air and wave them like you just don't care“?

Die wahre Authentizität des Stücks, und somit seine Stärke, liegt nicht in seiner Problematik, sondern im unschuldig-inhaltsleeren, fast kindlichen Fanatismus der Schauspieler für alles, was nach HipHop riecht. Die Musik ist laut, die Breaker sind akrobatisch, und der Flow der Raps ist glatt genug, um zu begeistern. Ob die Jugendlichen dazu erst den heimischen Jugenklub verlassen und eine Bühne aufbauen mussten, bleibt allerdings fraglich.

Kampnagel, k6, heute bis 18.12., Di-So 19.30 Uhr (außer: Di 07. u. Mi 08.12., 18.30 Uhr)