Keine Angst vor der Melodie

■ Der slowakischen Komponistin Iris Szeghi fällt unheimlich viel ein. Beim „Bremer Podium“ präsentierte sie ihre Gedanken und ihre Werke

Das sei ihr, sagte die Radio-Bremen-Redakteurin für Neue Musik, Marita Emigholz, bei der Musik von Iris Szeghi als erstes aufgefallen: Sie habe „keine Angst vor der Melodie“. Derartiges mit einem Tabu zu belegen, wie es schließlich nicht gerade selten geschehen ist im zwanzigsten Jahrhundert, ist der Komponistin „vollkommen fremd“.

Sie „gebe sich keine Verbote, schreibe, was ihr einfällt“, und das sei, so Emigholz weiter, eben auch mal eine Melodie. Aber natürlich nicht immer, und sie würde trotzdem niemals ihre Musik als tonal verstehen. Diese Aussage war schon bezeichnend für die Ästhetik der 1956 geborenen Iris Szeghi, die als Komponistin und Pianistin an der Hochschule für Musik und Theater in Bratislawa ausgebildet wurde. Sie war auch bezeichnend für diese Generation, die ihre Kunst immer häufiger nicht mehr gesellschaftskritisch versteht und verstanden haben will.

Im Workshop stellte Iris Szeghi zwar die Fragen der Produktion von Kunst heute: Nachdem der Traum von Aufklärung und Fortschritt sich aufgelöst hat, nachdem die Neue Musik sich spätestens mit dem Serialismus der 50-er Jahre von allgemeiner Verständlichkeit zurückgezogen hat, heißt es: Wie und für wen soll's jetzt weiter gehen? Iris Szeghi scheint sich darüber nicht all zu viele Gedanken zu machen.

Dem Vorwurf, dass Neue Musik zu wenig Menschen erreicht, kann sie sich jedenfalls nicht anschließen. Musik schreiben sei ein Akt intimster Kommunikation, da sei es genug, nur einen Menschen zu erreichen. Alle anderen seien nur Multiplikatoren.

Signifikant für ihr Denken ist, dass sie in ihrem etwas langatmigen Vortrag im Workshop weder philosophische noch technische Bemerkungen fallen ließ. Sie sagte sogar: „Rein musikalische Probleme gibt es nicht“. Dafür: Musik sei für sie Freude und Sinn, Dialog und Monolog, eine Brücke zu dem oder den Menschen.

Diese Brücke wurde am Abend gebaut vom Ensemble SurPlus aus Freiburg, merkwürdigerweise ausgewiesen mit der Leitung von James Avery. Geleitet hat der kein einziges Stück, sondern nur einmal Klavier gespielt. Fabelhafte Musiker sind sie allesamt, und mit ihrem ganzen Einsatz konnten sie davon überzeugen, dass Iris Szeghi eine bemerkenswerte Komponistin ist, eine, die viel kann und der viel einfällt.

Es ist kein Widerspruch dazu, dass vieles von der Idee und der Form her ungeheuer simpel daherkommt. Sie arbeitet grundsätzlich mit den klassischen Prinzipien von Entwicklung, von Kontrast und Wiederholung – als habe es einen Edgar Varèse oder einen John Cage nie gegeben. Und sie arbeitet mit ganz einfachen Bildern. So zum Beispiel im noch im Workshop vorgestellten „Story“ für Stimme und Tonband (1995). Das soll die Story des Menschen sein, und die Naturgeräusche des Tonbands verwandeln sich allmählich in bedrohliche Maschinengeräusche.

Ein weiteres Beispiel für diese Art der Formfindung: „Midsummer Night's Mystery“ für zwei Schlagzeuger: geheimvolles Trommeln meint eine kleine Flamme, die in einer Explosion und einem barbarischen Tanz – Strawinski läßt grüßen – endet und verebbt im Morgengrauen. Kirchenglocken sind zu hören (brillant gespielt von Olaf Tzschoppe und Pascale Pon). Oder: „In Between“ für Oboe und Tonband.

„Wir leben ständig dazwischen“, schreibt Iris Szeghi im Kommentar, und das geht dann so: Über das Tonband sind ankommende Schritte zu hören, eine Tür wird geöffnet, die Schritte gehen wieder weg. Dann die Radiogeräusche zwischen den Sendern. Dazu äußert sich die perfekte Oboe von Peter Veale.

Wesentlich überzeugender sind Konzeptionen, die von der Virtuosität eines Instruments angeregt wurden wie „Perpetuum Mobile“ für Klavier. Sven Thomas Kiebler brilliert mit den drei Ebenen Pedale, Tastatur und den Präparationen in den Saiten: ein fulminantes Stück. Dann gibt es Stücke, die sich materialen und formalen Auseinandersetzungen verdanken wie „Ciaccona“ („mein kleiner Barockdialog“) oder auch „Musica folclorica“, dessen Ortung in der balkanischen Folklore zu finden ist. Oder auch „Afforismi II“, die dichterische Aphorismen auch ironisch kommentieren.

So ist also die Kunst von Iris Szeghi noch sozusagen roh, weil sie alles umzusetzen scheint, was ihr in den Sinn kommt. Es spricht für sie, dass ihr unglaublich viel einfällt, was man von so manchen Komponisten erdrückender Konzeptionen nicht immer sagen kann. Aber auf die Dauer ist es notwendig, dass für eine verbindliche personale Handschrift die denkerischen und formalen Konzeptionen besser ineinandergreifen.

Ute Schalz-Laurenze