Einen Raum für sich selber

Wie man unter dem elterlichen Tisch lachend und weinend zur Autorin wird: Muriel Spark hat ihre Autobiographie geschrieben  ■ Von Stephanie Tasch

Curriculum Vitae. Lebenslauf. Das ist dieses zielstrebige, deutlich konturierte Selbst, das wir entwerfen, wenn das Leben etwa in Form einer anstehenden Bewerbung ein Selbstporträt verlangt, das uns als idealen Kandidaten erscheinen läßt. Die Nachmittage mit dem Krimi auf dem Sofa, die Nächte mit der Freundin in der Küche verplaudert, die Affären und Amouren, all das Bügeln, Blumengießen und Abwaschen auf der Flucht vor jenen Tagen, die dann den Lebenslauf so selbstverständlich schmücken – sie kommen nicht vor. Der programmatische Titel von Muriel Sparks „Curriculum Vitae. Selbstporträt der Künstlerin als junge Frau“ verweist auf ihre Absicht, eine intellektuelle Autobiographie zu verfassen. Evoziert der Untertitel noch James Joyce, so schreibt Spark doch mit Emphase ihre eigene Geschichte: Die Entwicklung des begabten Kindes zu einer der bedeutendsten britischen Autorinnen der Nachkriegszeit.

Muriel Camberg, so ihr Mädchenname, wurde 1918 in Edinburgh als zweites Kind einer englischen Mutter und eines schottisch- jüdischen Vaters geboren. Die bescheidenen ökonomischen Verhältnisse der Familie verbannten Muriel und ihren älteren Bruder Philip nicht in eine separate Kinderwelt. Statt dessen erlebten sie den familiären Mikrokosmos als aufregende Bühne, auf der eigens für sie inszenierte Stücke abliefen – eine Haltung, die Spark auch während der Schulzeit beibehielt. Freunde der Eltern haben sie als schüchternes Kind beschrieben: die Lektüre von „Curriculum Vitae“ vermittelt eher den Eindruck, die künftige Autorin sei derartig mit Beobachten, Zuhören und Zuschauen beschäftigt gewesen, daß zum Kommunizieren nur noch wenig Zeit blieb. In der Tat betont Spark, sie könne sich nicht erinnern, einmal keine „Menschenbeobachterin“ gewesen zu sein. Sie verbringt viel Zeit unter dem elterlichen Tisch, dem idealen Lauschposten für Kinder, und nachdem der Besuch wieder gegangen ist, lacht man gemeinsam und kommentiert die Eigenheiten der Gäste. Dieses Familienspiel begegnet dem Leser späterer literarischer Arbeiten in Form des charakteristischen Amüsements wieder, mit dem Spark ihre Figuren betrachtet. Ebenso scheinen ihr Witz und ihr Sinn für Situationskomik ein Erbe ihrer Kindheit zu sein. Beobachtungen und Erfahrungen werden zu Grundkategorien ihrer schriftstellerischen Tätigkeit, die eigene Vita zum Material ihrer Literatur.

Für Menschen mit weniger frühreifen Lebenszielen mag es überraschend wirken, aber Muriel Spark scheint immer schon gewußt zu haben, daß sie einmal Schriftstellerin sein würde. Und da ihr Lebenslauf, der so sehr wie ein konsequenter Lebensplan (gegen alle Widrigkeiten) geschrieben ist, schon im Untertitel den exemplarischen Charakter ihrer Entwicklung beschwört, lohnt es sich, einen Blick auf die zeitgenössische Einschätzung ihrer Chancen zu werfen.

Als die elfjährige Muriel 1928 fünf Gedichte in einer Anthologie veröffentlicht, erscheint in London Virginia Woolfs klassischer Text zum Thema Frauen und Schreiben, „A Room of One's Own“. Woolfs zentrale Forderung nach finanzieller Unabhängigkeit und einem eigenen Zimmer als Grundlage weiblicher Kreativität könnte als Motto über Sparks schriftstellerischer Laufbahn stehen. Als die Autorin noch ein Kind war, teilte sie ihr Zimmer mit der Großmutter. Im London der Nachkriegszeit lebte sie in einer Reihe spartanischer Räume in Frauenklubs, Pensionen oder zur Untermiete; Räume, in denen man nur tagsüber tippen konnte, um die Mitbewohner nicht zu stören. In ihrem 1963 veröffentlichten Roman „Mädchen mit begrenzten Möglichkeiten“ beschreibt Spark diese räumlichen wie materiellen Beschränkungen.

Als geradezu klassischer Fluchtweg aus dem als zu eng empfundenen Edinburgh bietet sich 1937 die Heirat mit dem wesentlich älteren Sydney Oswald Spark an. Muriel folgt ihrem Mann in das damalige Südrhodesien (heute Simbabwe), bekommt ihren Sohn Robin, lernt das Leben der englischen Kolonialbeamten kennen und verabscheuen und erkennt sehr schnell, daß der vermeintliche Ausweg eine Sackgasse ist. Nach zwei Jahren Ehe reicht sie die Scheidung ein. Der Zweite Weltkrieg verhindert bis 1944 ihre Rückkehr nach Großbritannien, und Spark bleibt mit ihrem Sohn in Afrika. Für den Lebensunterhalt sorgt sie, nach kurzer Zeit der Konzentration auf ihre literarische Arbeit, nun wieder selbst. Das von Virginia Woolf zehn Jahre zuvor aufgelistete Angebot unterbezahlter „Sklavenarbeiten“ für Frauen hatte sich seitdem nicht wesentlich erweitert. Vor ihrer Ehe hatte Spark als Hilfslehrerin und Sekretärin gearbeitet; zurück in England wird sie im Rahmen des obligatorischen Kriegsdienstes unter der Leitung des ehemaligen Berlin-Korrespondenten Sefton Delmer Mitarbeiterin des britischen Geheimdienstes MI 6. Nach Kriegsende beginnt sie im Londoner Literaturbetrieb zu arbeiten, wobei ihre Erfahrungen aus der Welt der Spionage ihr nützlich gewesen sein mögen... Die einjährige Herausgabe der Poetry Review, Vereinsbote der Poetry Society, lehrt sie jedenfalls alles Notwendige über die Intrigen unter zweitklassigen Dichtern. Ihre Erfahrungen bei der Review bilden dreißig Jahre später den Hintergrund zu dem Roman „Vorsätzlich Herumlungern“ von 1981. Von ihrer literarischen Arbeit leben kann Spark erst in den sechziger Jahren; bis dahin ernährt sie sich weiterhin (schlecht) vonTeilzeitarbeit: Sie schreibt bei einer Werbeagentur Reden für Industrielle, arbeitet bei verschiedensten Zeitschriften mit und veröffentlicht schließlich auch biographische und literaturkritische Arbeiten, etwa zu Mary Shelley und dem damaligen Poeta laureatus, John Masefield (1878-1967).

Die private Muriel Spark sieht sich, nach der intellektuellen Isolation in Afrika, mit der Einsamkeit einer sehr ärmlichen Nachkriegsexistenz konfrontiert. Und die Lebensmittelrationierung der frühen fünfziger Jahre führt indirekt zu Sparks erstem Romanprojekt. Die „wahnwitzige Idee“, gegen den Hunger den Appetitzügler Dexedrin einzunehmen, hatte monatelange Halluzinationen zur Folge. Mit Hilfe einer finanziellen Unterstützung von Graham Greene kann sich die im selben Jahr (1954) zum Katholizismus konvertierte Spark in ein Kloster zurückziehen. Dort entstehen, als Auftragsarbeit für den Londoner Macmillan Verlag, die „Tröster“. In erstaunlicher Parallelität zu Evelyn Waughs zeitgleich entstandener „Höllenfahrt“ des Gilbert Pinfold werden hier die authentischen Halluzinationen in fiktive Geisterstimmen umgeschrieben. „Ich wage zu behaupten“, so sagte ihr Lektor Alan Maclean nach dem Erscheinen des Buches 1957, „daß wir hier erst einen Vorgeschmack haben.“

Bei diesem ersten publizistischen Erfolg endet „Curriculum Vitae“, und es bleiben, bei aller Hochachtung gegenüber Frau Sparks Lebensleistung, einige Bedenken zurück. Die auffallende formale und sprachliche Heterogenität mag im Entstehungsprozeß des Buches begründet sein, mindert aber das Lesevergnügen. Sparks Leben beginnt, sich in lauter interessante Einzelheiten aufzulösen. Das Ende bleibt naturgemäß offen; es ist schließlich noch ein zweiter Band geplant: das Selbstporträt der erfolgreichen Schriftstellerin.

Muriel Spark: „Curriculum Vitae. Selbstporträt der Künstlerin als junge Frau“. Roman. Aus dem Englischen von Otto Bayer. Diogenes Verlag, geb., 49 DM