Dank wofür? Ey, Man?

■ Wynton Marsalis tourt wieder. Wie immer als Mann von Geschmack und Botschafter einer neuen Coolness. Wynton Superstar über Rassismus, Soziologie, Beethoven und die größten Quatscher der Jazzgeschichte

Viele sehen Sie als Inbegriff „schwarzen“ Fortschritts – Sie selbst sich auch?

Es ist doch so: Keiner braucht jemanden irgendwo. Auch das Lincoln Center braucht mich nicht. Sie könnten besser einen aus der sogenannten Avantgarde-Schule auf ihre Bühne hier stellen, von diesen Leuten, die noch nicht mal ihr Instrument beherrschen, die sich einen Umhang überwerfen und erklären, das sei die neue afrikanische Musik – wenn sie wen bräuchten, der die Negerrolle spielen soll.

In diese Rolle passe ich nicht. Mir geht es um die Präsentation von amerikanischer und Jazzmusik. Ich spreche nicht von Black Music. Ich spreche bewußt von amerikanischer Musik. Und Leute, die meinen, das Lincoln Center bräuchte mich, verstehen nicht, wie dieser Laden funktioniert.

Wo liegt das Mißverständnis?

Die brauchen hier keinen Vorzeige-Schwarzen. Ebensowenig wie die Tonight-Show einen Branford Marsalis oder Kevin Eubanks braucht. Keiner braucht hier überhaupt einen Schwarzen. Das ist die irrige Annahme. Ein Wunschdenken vielleicht – aber wer kümmert sich heute noch darum, welche Hautfarbe man hat? Mich engagierte man wegen meiner künstlerische Vision. Nicht weil ich schwarz bin.

Wenn der Kritiker Stanley Crouch Sie den besten Jazztrompeter, -bandleader, -komponisten nennt, finden Sie das nicht ein bißchen komisch und leicht übertrieben?

Nee, wenn er das so meint, fühle ich mich geschmeichelt. Das ist seine Meinung.

Warum sind Sie dann selbst so wenig großzügig und grenzen die Avantgarde, wie sie Lester Bowie und andere verkörpern, aus Ihrer Jazzdefinition aus?

Alles, was ich über die andere, die sogenannte Avantgarde noch sagen kann, ist folgendes: Ich bin bereit, mich mit jedem dieser Trompeter zu messen. Ich war bei Lester Bowies Konzert, um mit ihm zu spielen. Aber er wollte nur reden. Ich will aber nicht mit einem Musiker über Musik sprechen, dessen Reputation sehr viel größer ist als seine Musikalität. Ich spreche über Musik mit Kritikern. Aber mit Musikern? Ja, ich denke, daß die meisten dieser Avantgardisten nicht spielen können. Das hat nichts mit persönlichen Vorlieben zu tun. Ich spreche von Musikalität. Wenn wir über die neueste Haarmode sprechen, darüber, wie viele Hähnchen man in seinem Leben bereits verdrückt hat, und woher man stammt – das ist okay. Aber das hat eben nichts mit Musik zu tun. Ich bin zu den zwei größten Jazz-Quatschern – Miles Davis und Lester Bowie – auf die Bühne gegangen, um mit ihnen zu spielen. Aber was war? – Nur Gerede. Wer kann am miesesten über den anderen herziehen? Well, playing the dozens is fun for me too. Aber das Problem ist doch, daß das ganze Jazz-Establishment sich nur mit großen Reden über Wasser hält.

Streitereien, auch mit den Kritikern, scheinen Ihnen mächtig Spaß zu machen.

Zum Schluß gibt es doch nur die Musik – egal wie wieviel geredet und gestritten wird. Aber es stimmt: Ich liebe es, mich auseinanderzusetzen. Das ist ein Teil der Dynamik, die es in der Kunst gibt. Manchmal gibt es ja auch konstruktive Kritik, auch wenn der Künstler nicht von den Kritikern gestaltet wird. Die Vision des Künstlers ist eher spirituell. Aber wie gesagt: Mir bringt es irre viel Spaß, zu argumentieren und mich zu verteidigen, wenn ich angegriffen werde.

Und da kommt einiges zusammen. Der Kritiker des New Yorker , Whitney Balliett, zählte unter sechzig mitwirkenden Musikern bei fünf Jazz-At-Lincoln-Center- Konzerten nur sechs Weiße. Sein Kommentar: Marsalis belebe nicht nur den alten Jazz wieder, sondern auch jenen umgedrehten Rassismus, der bei schwarzen Musikern der fünfziger und sechziger Jahre sehr populär war.

Das ist natürlich Unsinn ...

Es läuft aber doch alles auf die Frage hinaus: Schwarze haben den Jazz „erfunden“, wer besitzt ihn heute?

Welche Positionen meinen Sie genau damit?

In jüngster Zeit wurden Sie in gleich zwei Büchern – Lincoln Colliers „Jazz; the American theme song“ und Gene Lees „Cats of any color: jazz black and white“ – des schwarzen Rassismus bezichtigt. Wieder wegen Ihrer Personalpolitik bei der Reihe: Jazz At Lincoln Center. Die Zeitschrift JazzTimes machte das Thema Jazz und Rassismus unlängst zur Titelstory.

Zunächst fehlt dieser Diskussion, wie sie bisher ausgebreitet wurde, jegliche Integrität. Gene Lees ist kein ernsthafter Diskussionsgegner. Er bewegt sich eher auf dem Niveau eines Studenten im ersten Semester. Er schreibt so, als wäre er der Nabelpunkt der Welt. Und natürlich kommt er zu der faden Erkenntnis, daß keiner ihn versteht. Das ist doch Anfängerniveau. Lees hat mich noch nicht einmal interviewt. Das zeigt schon, wie er recherchiert.

Collier ist hingegen ein ernstzunehmender Jazzhistoriker. Wir hatten eine öffentliche Diskussion im Lincoln Center, aber leider war er nicht gut vorbereitet. Ich dagegen habe all seine Bücher gelesen und muß feststellen, daß sie streckenweise mangelhaft recherchiert sind, voll von musikologischen Fehlern, daß ihm häufig der Zugang zum musikalischen Material abgeht, obwohl er selbst Musiker ist, und, und, und ... Aber das Leidigste an dem ganzen sind tatsächlich diese Vorwürfe gegen unsere Lincoln-Center-Politik. Es ist doch nicht zu fassen, daß wir Statistiken erstellen mußten, wie die ethnische Quote sich beim Jazz At Lincoln Center differenziert, um dem Vorwurf zu begegnen, daß wir etwas gegen Weiße hätten. Obwohl sieben von dreizehn Vorlesungen über Jazz in unserer Gesprächsreihe beim Jazz At Lincoln Center von Weißen gehalten wurden.

In einem seiner Bücher behauptet Collier, daß die Jazzkritiker immer das Problem zu kaschieren hätten, daß sie nichts von Musik verstehen würden. Aber dann stellte sich heraus, daß er auch nichts davon versteht. Ich demonstrierte am Klavier, daß gewisse Analysen in seinem Buch falsch sind, und ich merkte dann erst, als ich zu ihm hinüberschaute, daß er gar nicht wußte, worum es musikalisch geht. Er zog sich dann darauf zurück, daß ihm andere Musiker bei den Analysen geholfen hätten. Das Problem mit den Kritikern ist ja nicht neu. Was machen sie, wenn sie in der musikologischen Diskussion verlieren? Sie sprechen über Rasse.

Mir scheint, daß weiße Jazzkritiker, die sich früher dafür eingesetzt haben, daß auch schwarze Jazzmusiker auf den Titelseiten der Jazzmagazine zu sehen sind, jetzt etwas enttäuscht sind, weil kein Dank zurückkommt.

Gene Lees behauptet, daß er Wunder was getan hätte. Okay. Aber Dank – für was denn? Und an wen überhaupt? Die meisten dieser sogenannten Kritiker sind doch alte Paternalisten, verkappte Rassisten. Die es lieben, wenn sie uns den Kopf streicheln können. Und die nicht begriffen haben, daß diese Zeiten vorbei sind. Dank wofür? Ey, Man ...? Die bereuen heute, was sie getan haben. Bei ihnen verkam die Musik zu einem Wrack. Intellektuell und kulturell. Sie beurteilten den Jazz von der Rassenfrage her, ich von der musikalischen Seite. Das Werk von Duke Ellington zum Beispiel. Ist das die Musik eines schwarzen Amerikaners? Nein! Das ist die Musik.

Ich will nicht mit Jazzhistorikern über die Rassenproblematik diskutieren, wenn das Werk Duke Ellingtons das Thema ist.

Aber Rassismus ist nun mal eine Tatsache ...

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Die Rassenfrage ist ein gesamtamerikanisches Problem. Warum soll ausgerechnet der kleine Jazz da jetzt die Lösung bringen? Das ist doch schon im Ansatz eine Fehlkonstruktion.

In der Geschichte der Black Music ...

Ich halte überhaupt nichts von dem Terminus „Black Music“. Wenn ein Weißer etwas erfindet, nennt man das amerikanisch. Wenn ein Schwarzer etwas erfindet, nennt man das schwarz. Was soll der Big Deal mit diesem Begriff? Der ist doch gänzlich rückwärtsgewandt und überhaupt nicht hip. Sprechen wir von amerikanischer Musik, okay? Oder sollen wir das Fluzeug, das Telefon oder die klassische Musik weiß nennen? Jetzt ist es an der Zeit, die Dinge nach dem zu benennen, was sie sind. Duke Ellingtons Werk ist sein Werk. Nichts anderes.

Jazz ist amerikanische Musik. Aber warum sagen Sie, daß hauptsächlich schwarze Musiker Jazz spielen können?

Weil es eine Tatsache ist. Die meisten Aufsichtsratsvorsitzenden sind weiße Amerikaner, das Raumfahrtprogramm, die klassischen Orchester – alles weiße Amerikaner. Das sind die Tatsachen. Was nicht heißen soll, daß schwarze Amerikaner das nicht könnten. Wie umgekehrt auch. Die großen klassischen Komponisten waren weiß. So ist das nun mal.

Unabänderlich?

Natürlich nicht. Nächstes Jahr könnte ein Schwarzer auftauchen, der diese Tradition mit einem große Werk fortführt. Ein ganz anderer Aspekt ist, was Beethoven mit seinen Zeitgenossen gemein hatte. Macht die Tatsache, daß er weiß war, sein Werk zu einem weißen Werk? Nein. Macht die Tatsache, daß Jazz vornehmlich von Schwarzen erfunden wurde und bis heute getragen wird, diese Musik zur Black Music? Viele asiatische Musiker spielen heute klassische Musik. Was heißt das? Daß viele asiatische Musiker klassische Musik spielen, weil sie das gut können. Alles andere ist weiße Paranoia. Die werde ich nicht bedienen.

Vor einigen Jahren nannte Stanley Crouch Sie den Sprecher einer neuen musikalischen Bewegung, die frei von dem Diktat der Massenmedien und Jazzmafia sei. Was ist aus Ihrer Bewegung geworden?

Unsere Gegenbewegung zum Jazz-Establishment hat große Fortschritte gemacht. Hören Sie sich nur die aktuellen Platten von Cyrus Chestnut, Marcus Printup, Nicholas Payton, Marcus Roberts und Stephen Scott an – als ich in den achtziger Jahren anfing, gab es keine einzige dieser Art. Anfang der Achtziger gab es nur Terence Blanchard, Wallace Roney und mich. Heute gibt es mindestens ne Handvoll junger Toptrompeter. Und sie wollen swingen. Und zwar nicht, weil ich es will.

In Ihrem dreistündigen Epos „Blood On The Fields“, das demnächst auch auf CD veröffentlicht wird, beschäftigen Sie sich mit schwarzer Geschichte.

Es sind vielmehr die Erfahrungen menschlicher Geschichte. Was muß der Sklave wissen? Er muß das Land lieben, wenn er frei sein will. Wenn er die Natur nicht liebt, ist er von der wesentlichen Energie abgeschnitten, die ihm die Kraft gibt, frei zu sein. Dasselbe Land, das den Sklaven gefangen hält, wird ihn einst freilassen. Deshalb muß er auch das Land seiner Gefangenschaft lieben. Er muß lernen zu singen: mit Soul. Das nennen wir: „Bring the soul back.“ Denn allein kann er sich nicht befreien. Er braucht andere Menschen, die ihm dabei helfen. Wenn er keinen Soul in seinen Liedern hat, kommt nur Haß rüber. Und der macht wahnsinnig, aber nicht frei. Und was macht er, wenn er schließlich frei ist? Er muß lernen, mit der Freiheit umzugehen. Früher war er vielleicht mal ein Prinz oder König. Aber jetzt ist er nur noch ein Mensch. Und wenn er das alles gelernt hat, kommt die Erfahrung, daß der Sinn der Freiheit einzig im ständigen Bemühen besteht, menschlich zu werden. Fallen und immer wieder aufstehen. Das ist der Zyklus.

„I like my negroes real – simple but plentyful of feeling“ ...

Das sagt der Sklavenbesitzer im Libretto von „Blood On The Fields“. Den wilden Neger, der nicht denkt, den lieben sie: „Laß mich für dich sprechen, Junge, und du spielst.“ Das haben die heutigen Jazzkritiker mit den Sklavenbesitzern gemein. Aber es geht dabei eigentlich nicht um schwarz und weiß. Es sind eher zwei verschiedene Ideologien.

So wie sie reden, ist die Rassenproblematik nur noch historischer Stoff.

Die Frage ist doch: Warum soll ein Jazzmusiker neunzig Prozent seiner Zeit darauf verwenden, über Rassismus zu sprechen? Das ist doch eigentlich der Job von Soziologen, die sich wirklich mit dem Stoff auseinandersetzen. Sie werden doch auch nicht zu einem Experten für interkulturelle Beziehungen gehen, um ihn über Jazz zu befragen, oder? Wir können die Rassenproblematik nicht auf der Bühne vom Jazz At Lincoln Center lösen. Die Konstruktion schwarzer Menschen ist schon irrig genug. Wieviel Prozent Negerblut braucht es genau, ein „Schwarzer“ zu sein? Wie spielt ein schwarzer Trompeter, der bei einem deutschen Immigranten studiert hat – halb weiß, halb schwarz? Worüber sprechen wir also? Die nächsten zwanzig Jahre über Rassismus? Mit Wynton Marsalis, dem Jazztrompeter? Interview: Christian Broecking

17. Juli: Münchner Jazz-Festival (einziges Deutschland-Konzert), 19. Juli: Antibes Festival, Frankreich, 20. Juli: Salon Festival, Frankreich, 21. und 22. Juli: Pori Jazz Festival, Finnland, 24. Juli: Prager Jazz-Festival.