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■ Wider einen Boykott gegen FrankreichEßt Camembert! Trinkt Bordeaux!

Die Wut im Bauch vernebelt oft den Kopf. Viele animiert der Sieg über Shell zu neuen Taten. Weshalb nicht mit der nunmehr erprobten Strategie gegen ein weitaus skandalöseres Vorhaben zu Felde ziehen? Verständlich ist der Zorn über Chiracs skrupellose Atompolitik allemal – und auch begrüßenswert der Wille, den Menschen in Polynesien zu helfen. Doch ein Boykott gegen Waren aus Frankreich ist nicht nur absehbar erfolglos und deshalb töricht, sondern auch politisch kontraproduktiv und gefährlich.

Erstens: Shell ist ein Konzern, Frankreich ein Staat. Ein Konzernboss kalkuliert, rechnet kurzfristige Vorteile gegen langfristige Nachteile auf und langfristige Vorteile gegen kurzfristige Nachteile. Ein Boykott kann da greifen, weil der Konsument den Produzenten durch sein Verhalten direkt schädigen kann. Ein Konzernboss wird sich notfalls auch moralischen Maßstäben beugen – wenn es sich auszahlt. Auch ein Staatschef kalkuliert, allerdings weit weniger in ökonomischen Kategorien. Vor allem braucht er einen gewissen Konsens der Bevölkerung. Deshalb ist er im Prinzip für Druck von unten empfänglich. Doch ist es naiv, zu glauben, daß die durch deutsche Boykotteure geschädigten Winzer aus Bordeaux ihre Wut gegen Chirac richten und die Arbeiter von Renault ihm mit brennenden Reifen die Hölle heiß machen.

Zweitens: Frankreich ist nicht Südafrika, wo eine Bevölkerungsmehrheit den Boykott begrüßt hat. Die Franzosen haben jüngst in demokratischen Wahlen einen Staatschef bestimmt, der sich in die Tradition De Gaulles stellt, wie der General die „Grandeur de la nation“ gern über die europäische Einheit stellt, aber anders als jener nicht von einer linken Opposition bedrängt wird, sondern von einem aggressiven Nationalismus von rechts. In dieser gesellschaftlichen Konstellation ist ein nationaler Schulterschluß unter dem Druck deutscher Boykotteure weitaus wahrscheinlicher als ein Nachgeben Chiracs unter internationalem Druck. Denn als Konsumenten französischer Waren werden vor allem die Deutschen ins Gewicht fallen.

Man muß nicht drei französisch-deutsche Kriege beschwören, um die Gefahr zu verdeutlichen. Es reicht ein Blick Richtung Balkan. Dort hat das Fehlen einer europäischen Außenpolitik die Krisenlösung unmöglich gemacht. Insofern ist der Westen mitschuldig am Drama von Srebrenica. Eine Renationalisierung der Außenpolitik der europäischen Staaten, die nicht nur in Frankreich Protagonisten hat, sondern auch hierzulande, wird international katastrophale Folgen haben, die sich auch in Toten berechnen lassen werden. Deshalb: Deutsche, kauft bei Franzosen! Thomas Schmid

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