Kreativ gegen radioaktiv

■ 206 Jahre nach dem Sturm auf die Bastille stürmen Demonstranten gegen Frankreichs Atomtestpläne

Berlin (taz/AFP) – Auf der Pariser Ile de la Cité fliegen Touristen am Nationalfeiertag immer Kracher um die Ohren. Doch heute sind die Vorzeichen umgekehrt. Den Vertretern der Grande Nation fliegt am Nationalfeiertag der Protest gegen ihre geplanten Atomtests um die Ohren. Italiens Staatspräsident Luigi Scalfaro kritisierte die französische Regierung: „Niemand hat das Recht, das Leben künftiger Generationen zu schädigen.“ Mit Frieden hätten diese Tests nichts zu tun.

Neuseeland, Australien und die übrigen Staaten des Pazifik-Forums riefen dazu auf, die Bastille-Feiern in ihren Ländern zu boykottieren. Neuseelands Regierungschef Jim Bolger kündigte an, mindestens ein Marineschiff zum Atomtestgelände auf dem Moruroa-Atoll zu schicken. Dort soll das Schiff für die Sicherheit einer Protestfahrt von Jachtbooten sorgen.

In Deutschland befragte die taz PolitikerInnen und LeserInnen nach Möglichkeiten, Druck auf Frankreich auszuüben. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Friedbert Pflüger nannte einen möglichen Boykott französischer Waren „töricht und gefährlich. Frankreich ist kein Ölkonzern, sondern ein befreundetes Land.“ Auch Grünen-Vorstandssprecher Jürgen Trittin lehnt einen Boykott ab, verlangt aber deutliche Worte der Bundesregierung. „Ich habe meinen Urlaub bei Avignon abgesagt“, meinte dagegen der SPD-Bundestagsabgeordnete Eike Hovermann. Die große Mehrzahl der taz-Leser – über 400 beteiligten sich an der Aktion – befürwortet einen Boykott. Der Bundestag debattierte gestern die Atomtests. Kanzler Kohl lehnte es ab, bei der französischen Regierung Druck zu machen. „Es entspricht dem Umgang unter Freunden, daß man auch bei sehr unterschiedlicher Auffassung respektiert, was der andere sagt“, so Kohl. Boykottaufrufe lehnte der Kanzler ab. SPD-Fraktionschef Scharping nannte den Widerspruch gegen die französische Entscheidung „sehr begründet, sehr verständlich und sehr berechtigt“. Joschka Fischer von den Grünen warf der Pariser Regierung vor, sie gefährde Menschen und Umwelt im Südpazifik: „Der Bundestag muß Klartext reden.“

Frankreichs Staatspräsident Chirac hat sich empört über die Proteste im Europäischen Parlament geäußert. „Cohn-Bendit hat das alles organisiert“, schäumte Chirac über den deutschen Grünen-Abgeordneten. Der französische Regierungssprecher Baroin sieht eine Kampagne gegen Frankreich am Werk. Aber: „Wir lassen uns nicht täuschen, wir lassen uns nicht beeindrucken, wir verteidigen die übergeordneten Interessen der Nation.“ ten

Tagesthema Seiten 2 und 3

Reportage aus Sydney auf Seite 9

Kommentare auf Seite 10

Porträt Moruroas auf Seite 11