Flirren der Unwirklichkeit

■ Verschleierter Blick: Der Hamburger Fotograf André Lützen auf den Spuren des französischen Abenteurers Michel Vieuchange

Schatten in ungewöhnlichen Perspektiven, Hände, die den Fotoblick zu verhindern suchen, ein Schild das in weiter Öde „Bellevue“ verheißt und ein großartig begrünt gemalter Hinweis auf einen Panoramablick in der Wüste: Die schwarzweisen Reise-Notate von André Lützen aus der Westsahara erzählen viel über die Relativität des Blicks.

Der Hamburger Fotograf Lützen entdeckte in einem Antiquariat das Tagebuch des französischen Schriftstellers Michel Vieuchange: Smara – Reise zu den wilden Völkern des Rio del Oro ist die Aufzeichnung des 90-tägigen Reiseabenteuers, das den jungen Franzosen 1930 in der Verkleidung einer Berberfrau als ersten Europäer zur Ruinenstadt Smara führte. Auf schaukelndem Kamel, dick vermummt, teilweise gar in einem Sack versteckt, versuchte Vieuchange Einblick in eine fremde Welt zu bekommen, die sich dem Fremden bewusst verschloss. Unter den Strapazen der Reise erkrankt, bezahlte er seine Neugier mit dem Leben.

Ganz so schlimm erging es André Lützen nicht, als er vom gefundenen Text völlig fasziniert, die Reise von einst wiederholte. Jetzt im Museum beginnt die Reise, in 45 Bildern und dazwischengehängten Tafeln mit Originalzitaten, mit dem Blick durch die Gardine seines Stadthotels vor dem Aufbruch. Und trotz besserer Straßen und schöner Coca-Cola-Schilder künden die Bilder auch nach über sechzig Jahren von einer unauflöslichen Distanz. Es entsteht der Versuch einer visuellen Beschreibung von etwas, was partout nicht beschrieben werden will. Obgleich reale Dokumentation, werden die aus der Leere aufgetauchten Dinge nicht wirklich sichtbar. Manchmal nimmt diese Verschleierung als verbindliches Kulturprinzip auch konkrete Formen an: Nicht nur die Gesichter sind verborgen, auch die toten Mauern geben kein Geheimnis preis und sogar eine Benzinpumpe zeigt sich eingewickelt.

Ohne Romantisierungen hat sich der fotografische Blick, wie er sich den Besuchern darstellt, mit der Abbildfeindlichkeit einer Kultur in einer sowieso schon leeren Natur vollgesogen. Selbst ein eindeutiger Sehnsuchtstopos wie die Palmen einer Oase erscheinen in filigran-flirrender Unwirklichkeit: So wird das millionenmal todgeknipste Bildsymbol für Urlaub hier bei André Lützen wieder zur blinzelnden Erfahrung windzerzauster, doch schattenspendender Bäume wiederbelebt. Hajo Schiff

Forum Fotografie, Museum für Kunst und Gewerbe, bis 16. Januar