Am besten immer klüger sein als das Arbeitsamt

■ Welche Regeln gelten eigentlich beim Arbeitslosenbezug oder bei einer Krankmeldung als Arbeitnehmer? Die taz zeigt, wie das Sozialgericht in Streitfragen entschieden hat

Ob Knatsch mit dem Arbeitgeber, der Krankenversicherung oder der Bundesanstalt für Arbeit: Wenn es um Streitigkeiten in Berufs- oder Sozialversicherungs-Fragen geht, fällt das Bremer Landessozialgericht zum Teil aufschlussreiche Urteile. Die taz dokumentiert in zwei Fällen Urteilsspruch und Erläuterung des Gerichts.

Urteil 1: Eine doppelte Krankmeldung ist für Krankengeld in der Regel nicht erforderlich.

Wer als Arbeitnehmer Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall hat – und das sind nahezu alle Arbeitnehmer – braucht, um Krankengeld von seiner Krankenkasse beziehen zu können, eine Arbeitsunfähigkeit nur seinem Arbeitgeber zu melden und nicht noch darüber hinaus seiner Krankenkasse. Der Aufdruck auf der vom Arzt ausgehändigten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (dem „gelben Schein“), wonach „bei verspäteter Vorlage bei der Krankenkasse Krankengeldverlust droht“, steht dem Anspruch nicht entgegen.

Das ist die wesentliche Aussage in einem kürzlich ergangenen Urteil des Bremer Landessozialgerichts. Anlass für den Rechtsstreit eines Maschinenbedieners gegen seine Krankenkasse war deren Weigerung, Krankengeld zu zahlen. Der 33-Jährige war 1997 zunächst für fünf Wochen wegen eines Magenleidens krankgeschrieben worden, nach zweiwöchiger Arbeit dann erneut für weitere sechs Wochen. Beide Male reichte er die Bescheinigung seines Arztes über das Vorliegen von Arbeitsunfähigkeit bei seiner Firma ein. Nicht nur während der ersten, sondern auch während der zweiten Arbeitsunfähigkeit erhielt er von seiner Firma den Lohn weiter gezahlt.

Nachdem in der Firma bemerkt worden war, dass sie wegen der selben Krankheit mehr als sechs Wochen Entgeltfortzahlung geleistet hatte, forderte sie von ihrem Arbeitnehmer das Entgelt für fünf Wochen zurück. Dieser wandte sich daraufhin an seine Krankenkasse, um Krankengeld für die letzten fünf Wochen geltend zu machen. Die Kasse lehnte die Zahlung jedoch mit dem Argument ab, der Versicherte habe ihr gegenüber seine Erkrankung nicht gleich zu Beginn gemeldet.

Vor Gericht hatte der Mann in zweiter Instanz Erfolg. Das Gericht verurteilte die Krankenkasse zur Zahlung des Krankengeldes. Ein Versicherter sei zwar, so begründete das Gericht seine Entscheidung, nach dem Sozialgesetzbuch gehalten, eine Arbeitsunfähigkeit umgehend auch der Krankenkasse anzuzeigen. Wenn er dies unterlasse, dürfe das Krankengeld an den Arbeitgeber gegangen sein. Arbeitnehmer mit Anspruch auf Entgeltfortzahlung seien nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz nämlich nicht zu einer doppelten Meldung verpflichtet.

Danach ist es vielmehr Aufgabe des Arztes, die Krankenkasse von der Arbeitsunfähigkeit in Kenntnis zu setzen. Wenn die Krankenkassen ein Formular verwendeten, durch das in jedem Fall auch ihre Versicherten zur Meldung verpflichtet würden, dürften sie sich hierauf nicht berufen. Dies sei rechtsmissbräuchlich und mit Trau und Glauben nicht zu vereinbaren. Immerhin sei bei Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeit nicht nur die Krankenkasse, sondern in gleicher Weise auch der Arbeitgeber berechtigt, den Medizinischen Dienst zur Überprüfung einzuschalten. Damit seien die Krankenkassen, auch wenn sie erst nachträglich in Anspruch genommen würden, ausreichend vor einer nur vorgespiegelten Arbeitsunfähigkeit geschützt.

Die Krankenkasse hat gegen das Bremer Urteil Revision beim Bundessozialgericht eingelegt (Az. L 2 KR 2/99)

Urteil 2: Muss ein Arbeitsloser klüger als das Arbeitsamt sein?

Wenn das Arbeitsamt bei der erstmaligen Berechnung von Arbeitslosengeld zugunsten des Empfängers von einer höheren Kinderzahl als auf der Steuerkarte eingetragen ausgeht, muss dieser den zuviel gezahlten Betrag in der Regel nicht zurückzahlen. Dies gilt zumindest, wenn der Arbeitslose zuvor richtige Angaben gemacht hat und die Abweichungen relativ geringfügig sind, so dass sie nicht ohne weiteres ins Auge springen.

In dem durch das Gericht kürzlich entschiedenen Fall war sowohl im Antrag auf Arbeitslosengeld als auch auf der Steuerkarte vermerkt, dass kein Kind (mehr) zu berücksichtigen ist. Dennoch zahlte das Arbeitsamt den sog. erhöhten Leistungssatz von 67 Prozent statt 60 Prozent des letzten Nettogehalts, der nur Arbeitslosen mit mindestens einem Kind zusteht.

Dies brachte dem 58-jährigen Bremer ein wöchentliches Arbeitslosengeld von 546 Mark statt 489 Mark ein. Der Fehler wurde auch nicht bemerkt, als der Mann in den nächsten beiden Jahren seine Steuerkarte einreichte. Erst etwa 2,5 Jahre nach der ersten Überweisung fiel das Versehen im Arbeitsamt auf. Nun sollte der Arbeitslose über 4.200 Mark zurückzahlen: Er hätte den Fehler des Arbeitsamts von Anfang an bemerken müssen, da sich die richtige Berechnung seiner Leistung sowohl aus den Erläuterungen auf der Rückseite des Bescheides als auch aus dem „Merkblatt für Arbeitslose“ ergebe.

Dagegen hat sich dieser gewehrt: Er habe immer richtige und vollständige Angaben gemacht, von einem erstmals Arbeitslosen könnten im übrigen nicht mehr Kenntnisse erwartet werden als vom Sachbearbeiter des Arbeitsamts.

Das Gericht gab dem Arbeitslosen recht. Von einer groben Fahrlässigkeit des Begünstigsten könne hier nicht gesprochen werden. Dem Mann wäre es zwar anhand der „Allgemeinen Hinweise“ auf der Rückseite des Bescheids möglich gewesen, die Höhe seines Arbeitslosengeldes zu überprüfen. Er habe aber gar keinen Anlass gehabt, im einzelnen die Berechnungsmodalitäten nachzulesen, da die Höhe seiner Bezüge nicht erheblich aus dem zu erwartenden Rahmen fiel. Merkblätter und sonstige Hinweise seien in erster Linie zu beachten, wenn sich während der Arbeitslosigkeit etwas ändere – etwa wenn auf der Steuerkarte eine andere Steuerklasse oder kein Kind mehr eingetragen ist.

Wenn jemand jedoch einen zutreffenden Antrag gestellt habe, brauche er mit groben Fehlern der zahlenden Stelle nicht zu rechnen.(Az. L 5 AL 31/98)