Drei Ossis zogen durch die Welt

■ Potsdamer Ausstellung würdigt ostdeutsche Comic-Legende „Digedags“

„Daß ich das noch mal erlebe“, seufzt ein Enddreißiger leise in Richtung seines halbwüchsigen Sohnes, der den Vater daraufhin etwas ungläubig anschaut. Der Mauerfall ist fünf Jahre her und auch sonst bietet Potsdam eigentlich wenig Anlaß zu solch sentimentalen Gefühlsanwandlungen. Bis auf eine Ausnahme: das Filmmuseum im Marstall. Dort gastiert bis zum 24. September eine Ausstellung über die „Digedags – die größte deutsche Comic-Legende“, wie es ganz unbescheiden, aber vermutlich sogar zutreffend, in der Ankündigung heißt. Hier läuft als Höhepunkt und Auslöser besagten Emotionsausbruches ein fünfminütiger Pilot-Trickfilm, mit dem die Firma „Ostfilm“ Appetit auf mehr bei finanzkräftigen Produzenten machen will.

Die Digedags – das zur Erklärung für den wenig ostkundigen Wessi – sind drei Kultfiguren aus dem DDR-Bilderheftchen Mosaik und die bekanntesten Kobolde, die der Arbeiter- und Bauernstaat jemals hervorgebracht hat (abgesehen von den Politbürokraten). Heerscharen von DDR-Bürgern sind mit dem knollennasigen Kleinkollektiv großgeworden. Und die generationsübergreifende Verehrung riß auch mit fortschreitendem Alter selten ab. Einmal Digedag-Fan, immer Digedag-Fan.

Im Gegensatz zu den meisten sonstigen Ost-Produkten fanden sich die Comic-Helden auch nach der Wende in der Marktwirtschaft gut zurecht. Die nachaufgelegten Sammelbände aus dem Verlag Junge Welt, die zu Ostzeiten zur begehrten Bückware gehörten, verkauften sich weit über eine halbe Million mal. Zunehmend auch im Westen. Dabei zählen die mit Donald Duck aufgewachsenen Altbundis die Abenteuergeschichten eher zur verdächtigen Abteilung „pädagogisch wertvoll“. Auf sprechblasige Kurzprosa à la „Peng, Peng, Bumm“ hatten die Mosaik-Macher nämlich beizeiten verzichtet.Schließlich sollte der DDR-Comic auch ein positives Gegenstück zur gewaltbereiten West-Strichelei sein.

Sowieso waren die sozialistischen Funktionäre überraschend früh bereit, überhaupt auf die westliche Comic-Mode zu reagieren. So konnte der freiberufliche Zeichner Hannes Hegen (eigentlich Johannes Hegenbarth) im März 1955 glücklich sein, daß er sich mit einem Packen Zeichnungen unterm Arm gerade rechtzeitig bei einem Jugend-Verlag vorstellte. Nach einer sensationell kurzen Entscheidungsphase lag im Dezember jenen Jahres der erste Mosaik am Kiosk.

Die Abenteurer hießen Dag, Dig und Digedag (als Namensgebung diente dem Schöpfer Hegen das Ticken seiner Wanduhr) und hatten bald absoluten Kultstatus erlangt. Nicht nur wegen der drolligen Bilder, interessant waren vor allem die Erlebnisse der Kobolde. Die mußten nämlich ihre Abenteuerlust nicht – wie die Leser – bei Pioniernachmittagen und Altstoffsammlungen befriedigen, sondern konnten munter durch die Welt reisen. Die rastlosen Globetrotter trieben sich schon in Amerika herum, als ihre Fans zu Hause noch von einer FDJ-Jugendtourist- Reise nach Ungarn träumten.

Überhaupt schickte Hegen seine zeitlosen Digedags am liebsten in die Ferne des NSW (Nicht- sozialistisches Wirtschaftsgebiet), wo sie mit gewitzten Taten dem niedrigen Volke stets als Freunde und Helfer zur Seite standen und den Herrschenden allerlei Streiche spielten. Zur beliebtesten Serie wurden die Orientabenteuer mit dem tapsigen Ritter Runkel von Burg Rübenstein, der seiner geliebten Minne Adelaide von Möhrenfeld so gerne Schätze besorgen wollte. Unterstützten die Digedags gerade nicht die einkommensschwachen Schichten im Mittelalter, so erklärten sie eben auf originelle Art historische Erfindungen und Entdeckungen.

Obwohl die Mosaik-Gestalter ihren humanistischen Bildungsauftrag immer auf eine unideologisierte und nie platte Weise ausführten, lebten sie doch nie in dem freien Raum wie ihre Figuren. Auf Geheiß der Kultur-Apparatschiks mußte Hegen 1958 seine Gnome aus dem alten Rom abziehen und per Forschungsraumschiff ins All katapultieren. Die Sputnik-Erfolge der Sowjetunion galt es für den Nachwuchs der Werktätigen umzusetzen.

Hegen, der sich oft gegängelt fühlte, warf nach 223 Monatsheften 1975 endgültig das Handtuch. Die Digedags lebten fortan nur noch in raren Sammelbandauflagen weiter. Die Originalhefte zu einst 60 Pfennigen wechselten derweil für bis zu über 1.000 Mark den Besitzer. Gunnar Leue