Sanssouci: Rundumschlag
■ Wohnkultur Folge 10 Aktiv leben in den „Backfisch“-Jahren
Eltern sind eine anstrengende Spezies. Kaum einer, der nicht ein Lied davon zu singen weiß. Und welche Bemerkung schmerzt mehr als: „Du benimmst dich wie deine Mutter/dein Vater“? Das progressive Kind tut gut daran, sich durch Verhalten und Kleidung möglichst früh von diesen Menschen zu distanzieren. In einer Zeit, die einst aus mir unerklärlichen Gründen „Backfischjahre“ genannt wurde, sollte das stattfinden, was „Abnabelungsprozeß“ heißt: Der gute Teenie rebelliert und wütet. Gegen eine Sache allerdings ist er oder sie vollkommen machtlos: Die Wohnungseinrichtung als Ausdruck des elterlichen Geschmacks. Nicht nur die Großstrukturen wie die traditionelle Schrankwand- Sofa-Fernseher-Kombination, auch die Details sollten beachtet werden. Elternpaar B. zum Beispiel könnte locker einen Preis für die schmerzhafteste Bebilderung ihrer Wände gewinnen. Beim Betreten des Treppenhauses wird der ahnungslose Besucher zunächst durch großformatige Weltraumaufnahmen der Nasa überrascht. Wer es bis in den Flur schafft, den blendet eine Sammlung von Porzellantellern, die in filigraner Fiesheit „Romantische Szenen aus dem 19. Jahrhundert“ zeigen. Schön muß es damals gewesen sein.
Ein tragischer Fall von verirrtem elterlichen Geschmack ist auch die kritiklose Übernahme von Geschmacksphasen des eigenen Kindes. Mutter F. fand ungeheuren Gefallen an der kurzen Teetrink- und Baktiktuchphase ihrer Tochter. Das hatte zur Folge, daß die gesamte Wohnung der armen Frau inzwischen mit Trockenblumen verkeilt ist. Und es finden sich immer wieder neue Plätze, wo das allergene Gestrüpp verteilt werden kann. Schrecklich ebenfalls, wenn Eltern ständig demonstrieren müssen, daß sie in ihrer Wohnung aktiv leben. Vater S. mußte den Besuchern seines Sohnes jedesmal die Aufbau- und dann die Bedienungsanleitung seiner hinter der Wohnzimmertür zusammengeklappten Rudermaschinen erklären.
Manche Eltern renovieren ihre Wohnung nur im Zwanzig- Jahre-Rhythmus. Das leidgeprüfte Kind hat sich gerade einigermaßen mit der paternalen Antiquiertheit abgefunden und sogar schon aus Mitleid ein Auge auf die gelb-orange Plastikstehlampe aus den Siebzigern geworfen, da muß es am Telefon erfahren, daß gerade „die Handwerker im Hause sind“. Sie bringen die aktuelle Versandhauseinrichtung. Der alte „Plunder“ sei „zum Sperrmüll gegeben“ worden. Das Fatalste aber ist, daß sich auch der wildeste junge Mensch, solange er zu Hause lebt, kaum von den heimeligen Verirrungen distanzieren kann. Nur verständlich, daß viele jugendliche Schönheitsköniginnen ihren Angebeteten nicht nach Hause ins Eiche-Furnier-Wohnzimmer mitnehmen. Und auch der scheidigste Mofaheld wirkt in Muttis beiger Einbauküche nicht mehr ganz so appetitlich. Heike Blümner
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