Durchs Dröhnland: Unverschämt erotisch
■ Die wichtigsten und überflüssigsten Konzerte der kommenden Woche
Der Mann schreibt Songs in einem Gasthof namens „Schwarzes Roß“, friert sich die Finger bei Open-airs Ende Oktober ab und nennt Songs „I lost my Fork in New York“ oder „Deadmen's Blues“. Programmatisch heißt seine letzte Platte „Live & Alone“ und das erste Stück davon „I'm into Rock 'n' Roll“. Darauf benutzt Harry Coltello nur seine Stimme und seine Gitarre, einige Songs werden von dünnem Klatschen beschlossen. Da lebt einer ganz naiv die nicht auszurottenden Mythen, derentwegen Menschen mittellos durch die Welt trampen oder sich zu Hause zulaufen lassen. Der Rock 'n' Roll ist nicht totzukriegen, und der Berliner Coltello entlockt ihm einige wunderbare Momente. Dabei ist viel Kitsch im Spiel, wenn auch gebrochen und im ständigen Bewußtsein der eigenen Provinzialität. Ein Song, der Ton für Ton und Intonation von Neil Young geklaut scheint, heißt ausgerechnet „Hang Me on the Highest Tree in a Southbavarian Town“. Aber meistens ist Coltello schwer autobiographisch; wer möchte, darf auch „authentisch“ sagen, hemmungslos exhibitionistisch und schrecklich verletzlich, eben ein ganzer Mann, der irgendwann seinen größten Wunsch erfüllt bekommen sollte: „I need a belt and crocodile shoes / Got heavy sideburns like mashed potatoes / I wanna sing in a Rock 'n' Roll band.“ Sideburn ist übrigens amerikanisch für Backenbart.
Heute, 22 Uhr, Zosch, Tucholskystraße 30, Mitte
Weil Gitarrist Tom Schwoll sich verabschiedet hat, waren Jingo de Lunch zuletzt ziemlich abgetaucht. Der Verlust sollte sie aber nicht davon abhalten, die beste klassische Hardrock- Band der Stadt zu bleiben, eigenständig und dabei kaum den neuesten Entwicklungen zuzwinkernd. In ungewohnt engem Ambiente wird der Neuanfang versucht.
Heute, 21 Uhr, Kulturfabrik, Lehrter Straße 35, Moabit
Wer einer von denen ist, die nur noch den „Pulp Fiction“- Soundtrack im Player haben, kann sich unter einem trashigen Surf-Sound ziemlich exakt was vorstellen. Den schütteln Johnny Legend und seine Band problemlos aus dem Rüschenärmel, noch öfter aber einen flotten Rockabilly und selbst eine schmalzige Ballade. Legend kann wahlweise schleimen wie Roy Orbison oder kieksen wie Eddie Cochran. Kurz und gut: Alles, was in den 50ern an jeder Straßenecke zu haben war und über ein gewisses Dreckigkeitspotential verfügt, ist bei dem Mann im Angebot. Im Gegensatz zu anderen im Trash-Gewerbe bemüht sich Herr Legend allerdings um originalgetreue Wiedergabe der vierzig Jahre alten Sounds, schließlich ist er doch angeblich 1948 geboren. Mit drei Jahren, so behauptet seine Biographie, wollte er Comiczeichner werden – die einzige Karriere, die er dann doch nicht eingeschlagen hat. Statt dessen schrieb er Drehbücher für Horrorfilme, spielte bei Roger Corman mit und gab eine beeindruckende Leiche in dem unvergessenen Klassiker „Die Braut des Re-Animators“. Aus Resten schneidet er Kunstwerke wie „Sleazemanie“ zusammen und managt nebenbei CatcherInnen mit Namen wie „Schlitzerschwester“. Früher war nicht alles besser, aber einiges sehr viel lustiger.
Heute, 21.45 Uhr, vertont Legend im Freiluftkino Bethanien „Teaserama“ live. Mariannenplatz 2, Kreuzberg. Konzert morgen, 21 Uhr, Huxley's Junior, Hasenheide 108-114, Neukölln
Man muß ganz sicher noch nie in New Orleans gewesen sein, um die Neville Brothers gut zu finden. Aber es hilft, wenn man die feuchte Hitze dort gefühlt hat, wenn man durch die abgelegeneren Straßen des French Quarters gestrolcht und dann in einem Cajun-Joint gelandet ist, wo Menschen von schlichten Tischen mit rotweißkarierten Decken diese höllisch scharfen Gerichte zu sich nehmen und danach zur Verdauung über die Tanzfläche schwofen zu einem Sound aus Waschbrett, Akkordeon und Fiedel. Auch wenn bei Cyril, Aaron, Charles und Art Neville der Zydeco immer nur als Randeinfluß spürbar war, Funk, Soul, Jazz und auch Rock einen größeren Rahmen einnahmen, atmete ihre Musik immer die schwere Luft der Heimatstadt. Das schwüle Timbre der auch nach vierzigjähriger Karriere kaum gealterten Stimmen harmonisierte in den letzten Jahren immer besser mit dem zwar altertümlichen, aber immer noch unverschämt erotischen Groove.
So., 16. 7., 20 Uhr, Huxley's
Als America 72 „A Horse With No Name“ herausbrachten, bewiesen sie, daß in den USA eine unstillbare Sehnsucht nach den gerade aufgelösten Crosby, Stills, Nash & Young herrschte. Es sollte der einzige Hit des Trios mit den drei Gitarren bleiben, vielleicht sogar ihr einziger guter Song. Doch der Mensch ist träge. Ihre Platten werden weiterhin gekauft, und America gibt es immer noch, wenn auch geschrumpft zum Duo, weil Dan Peek die Band verließ, um „religiöse Interessen zu verfolgen“. Noch vor einigen Jahren verdienten sie ihr Gnadenbrot in der „Eierschale 2“, inzwischen hat sie die Standhaftigkeit älterer Fans und das 70s-Revival wieder in größere Hallen gespült.
Di., 18. 7., 20 Uhr, Tempodrom, In den Zelten, Tiergarten
The Likes Of Us glänzen vor allem mit Arroganz. „Sie brechen mit einer schon verloren geglaubten Dynamik in die deprimierende, hobbyintellektuelle Richtungslosigkeit der 90er Jahre ein“, verkündet ihr Info und dichtet den „Vertretern einer neuen moralischen Klasse“ eine „rauhe proletarische Kraft“ an. Das Trio spielt vor allem einen sehr professionellen Rock ohne Überraschungen, dafür mit eingängigen Hooklines, deren finanzielles Potential nicht zu verleugnen ist.
Do., 20. 7., 21 Uhr, Duncker, Dunckerstr. 64, Prenzlauer Berg Thomas Winkler
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