Das neue Tor nach Deutschland?

Mit dem gigantischen Jade-Port planen Bremen und Wilhelmshaven den zweitgrößten Containerhafen Europas zulasten von Rotterdam und – Hamburg  ■  Aus Bremen Michael Hollmann

Für die Wirtschafts- und Hafenlobby an der Weser steht fest: Sollen die bremischen Häfen im hart umkämpften Containergeschäft auf lange Sicht bestehen, müssen neue Ressourcen jenseits der Landesgrenzen erschlossen werden. Man dürfe nicht länger nur „durch die Bremen-Brille schauen“, warnte Wirtschaftssenator Josef Hattig (CDU) jüngst nach einer Kaminrunde mit seinem niedersächsischen Amtskollegen Peter Fischer.

Den versöhnlichen Worten liegen freilich handfeste Motive zugrunde. Denn bei den anhaltend hohen Steigerungen im Containerverkehr platzen die Kais in Bremerhaven auf Dauer aus allen Nähten. Flächen für die Erweiterung der Terminals sind zudem rar gesät. Der geplante Neubau CT 4, über den die Behörden in einem komplizierten Genehmigungsverfahren zu befinden haben, würde weit auf niedersächsisches Gebiet reichen. Obendrein stößt das Projekt auf den erbitterten Widerstand von Anwohnern in Weddewarden.

Mit Sorge verfolgen die Hafenmanager außerdem den steilen Trend bei den Schiffsgrößen auf den Überseelinien. Mit 14 Metern Wassertiefe ist die Außenweser schon heute für manchen Pott zu seicht, ähnlich wie die Elbe, die deshalb zur Zeit ausgebaggert wird. In Fachkreisen wird jedoch darüber spekuliert, dass bald so genannte Mega-Carrier mit einem Tiefgang von knapp 15 Metern die Regel sein könnten.

Doch in der Bremer Wirtschaftsbehörde ahnt man längst: Die Lösung für alle Probleme liegt womöglich nur einen Steinwurf entfernt. Zielstrebig schürt der Stadtstaat seit einiger Zeit Ambitionen zum Bau eines gigantischen Containerhafens in Wilhelmshaven. Initiator des Milliardenprojekts ist die private Wilhelmshavener Hafenwirtschaftsvereinigung (WHV). Deren Pläne für einen so genannten „Jade-Port“ mit zunächst 1.700 Metern Kailänge sorgen in der 90.000-Einwohner-Stadt allerdings für heftige Auseinandersetzungen. „Die ökologischen Gefahren und die Interessen der Anwohner werden hier schlichtweg übergangen“, urteilt Manfred Berger von der Bürgerinitiative gegen den Jade-Port.

Vor allem die 4000 Bewohner des Stadtteils Voslapp fürchten um ihre ländliche Idylle, sollten in direkter Nachbarschaft erst einmal die Förderkräne dröhnen und der Güterverkehr in Schwung kommen. „Durch die Ansiedlung von Gewerbe könnten Haus und Hof plötzlich 20 Prozent weniger wert sein“, schätzt der 48-jährige Software-Entwickler Berger.

Der angrenzende Voslapper Groden, der dem Container-Terminal schon im ersten Bauabschnitt geopfert werden soll, gilt zudem als ökologisch wertvoll. Hier nisten vom Aussterben bedrohte Vogelarten wie die Rohrdommel, die weit oben auf der roten Liste stehen. In Kreisen der maritimen Wirtschaft wird dies anders gesehen: Den vor Jahrzehnten aufgespülten Voslapper Groden habe sich die Natur widerrechtlich angeeignet, schrieb das industriefreundliche Fachmagazin Hansa – eine Parallele zur Elbbucht Mühlenberger Loch bei Finkenwerder.

Die Hafenwirtschaft sieht darin kein Problem. Es würden schon entsprechende Ausgleichsmaßnahmen getroffen, hält WHV-Geschäftsführer Detlef Weide dagegen. Ökonomisch betrachtet führe am Jade-Port nun mal kein Weg vorbei: „Um das Tor nach Deutschland offen zu halten, brauchen wir den Container-Hafen hier.“ Entscheidender Wettbewerbsvorteil Wilhelmshavens: Das Fahrwasser ist mit 18,3 Metern so tief wie in keinem anderen Nordseehafen. Anders als in Hamburg und Bremerhaven können Riesenpötte die Jade unabhängig vom Tidestand jederzeit ansteuern.

Absolution für ihr Großprojekt erhielt die Hafenwirtschaft unlängst vom Institut für Seeverkehrswirtschaft und Logistik (ISL) an der Bremer Uni. Im Jahr 2020 könnten dort mit bis zu 4,1 Mio Standardcontainern (TEU) deutlich mehr Kisten verladen werden als aktuell in Hamburg, konstatierten die Wissenschaftler.

Im Bremer Wirtschaftssenat nehmen Pläne für eine Allianz Gestalt an. Vorstellbar sei ein Geflecht von kleineren Häfen, „die Bremerhaven als Mutterhafen haben“, sinnierte Josef Hattig kürzlich. Auf einer Diskussionsveranstaltung in Wilhelmshaven ging Hattigs Referent für Außenwirtschaftswerbung, Uwe Will, in die Offensive: Das Dreieck „Wilhelmshaven-Bremerhaven-Bremen“ sei von der Größenordnung her mit Rotterdam vergleichbar. „Gemeinsam sind wir dann der zweitgrößte Hafen Europas, und ich möchte dann mal die Bundesregierung sehen, die diesem Hafen eine angemessene Hinterlandverbindung verwehrt.“

Größe bedeutet aber keinesfalls Sicherheit, kontert die Bürgerinitiative, die inzwischen 1500 Unterschriften gegen das Vorhaben gesammelt hat. Nach vorsichtigen Schätzungen würde sich das Schiffsaufkommen vor Wilhelmshaven schon bei Betriebnahme des ersten Bauabschnitts im Jahr 2006 verdoppeln. „Das würde die Gefahr eines Umweltunfalls in der Jade drastisch erhöhen“, warnt Manfred Berger. Schon heute gibt es jährlich mehr als 20 Beinahe-Unfälle in der Deutschen Bucht. Ende Oktober etwa nahm der Hochseeschlepper „Oceanic“ vor Wilhelmshaven in letzter Minute einen manövrierunfähigen Supertanker auf den Haken. Nur knapp entging die Deutsche Bucht einer Ölkatastrophe.

Dass die neuen Generationen von Containerschiffen den starken Winden eine große Angriffsfläche bieten und die Pötte längst kein so großes Beharrungsvermögen wie Supertanker haben, könnte speziell in der Einfahrt nach Wilhelmshaven zu einem Risiko werden. So weist die Fahrrinne an einem Fleck namens Minsener Oog einen gefährlichen Knick auf, im Lotsenjargon „Feuerhaken“ genannt. Sollte dort ein Containerschiff stranden und wie die „Pallas“ vor einem Jahr vor Amrum auslaufen, dürfte für den Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer jede Hilfe zu spät kommen, schätzt Berger.

Als „Luftbuchungen“ bezeichnet Bergers Mitstreiter Hans Freese die versprochenen Beschäftigungseffekte durch den Jade-Port: „Die WHV weiß natürlich, dass Arbeitsplätze hier ein absolutes Totschlagargument sind.“ Die Prognosen der Befürworter in Politik und Wirtschaft reichen von „mehreren Hundert“ bis 4000 neuer Jobs. „Wir rechnen allenfalls mit 100“, sagt der 65-Jährige. „Man muss sich doch bloß die hoch automatisierten Containerbrücken in Rotterdam anschauen. Da werden pro Schicht gerade noch drei Mitarbeiter benötigt!“ Und: Sollte der Jade-Port nur als verlängertes Terminal für Bremerhaven dienen, würden die Wachtumsimpulse vor Ort verpuffen. „Die Anlagen können auch per Funk von Bremen aus gefahren werden“, gibt Freese zu bedenken.

Die Umschlagfirma Eurogate – eine Tochter der Hamburger Eurokai und der Bremer Lagerhaus Gesellschaft (BLG) – liegt schließlich schon auf der Lauer: Ihre Schwestergesellschaft Port and Transport Consulting (PTC) ist an der Erstellung einer Machbarkeitsstudie für den Jade-Port beteiligt. Vom Ergebnis dieser Studie wollen die privaten Financiers der WHV ihre endgültige Entscheidung abhängig machen. Sollten die Gutachter dem Großprojekt gute Renditen bestätigen, werde schon im Jahr 2002 der erste Spatenstich erfolgen, versichert Detlef Weide.