Im Reich hinterhältiger Garnelen

■ „Normal-Verrückte“ und „Verrückt-Normale“ des Oldenburger „Blauschimmel-Ateliers“ spielten das Stück „Anders reisen“

Eine Performance mit viel Spaß an sich selbst, ein ausgelassenes, unprätentiöses Stück Theater voller Lebensfreude. Mit dem Stück „Anders reisen“ lud das Oldenburger „Blauschimmel-Atelier“ erstmals zum abendfüllenden Trip durch die Welt der Masken und Grotesken ein.

Nur wenige Wochen blieben den Blaustellen aus Bildender Kunst und Theater sowie der Band „Blue Screen“, um die Reise der Zaubergesellin Cincirli durch die Welt der Elemente von der Straßenvorlage auf Bühnenlänge zu bringen. Immerhin mussten dabei auch vierzig Mitwirkende sehr unterschiedlichen Temperamentes die Szene gestalten, unter der Regie von Ute Bommersheim und Jochen Fried.

Britta Karsch als Cincirli wirbelt mit rauchiger Kodderschnauze durch die Prüfungen des Erwachsenenwerdens, die ihr auferlegt werden, weil sie unvorsichtigerweise das Buch Merlins geöffnet hat. Jetzt bricht aus dessen Seiten das kleine Volk der Gnome, Kobolde und Nixen aus: Mit spinnrigen Fingern, grotesk verzerrten Gesichtern, urigen Bauchläden aus Vogelkäfigen. Eine fellineske Szene.

Cincirli findet das alles obercool, begleitet vom lakonischen Kobold Boris (Cord Ostmann), der am liebsten aber schlafen und essen würde. Stattdessen reißt ihn das Energiebündel Cincirli durch die Kämpfe mit den vier Elementen. Ein monströser, bläulicher Windgott mit riesigen Plastikplaneschwingen pustet die beiden zu Erdgestalten aus Sackleinen und Strohmähne, wo sie afrikanische Tänze lernen. Dann geht es weiter in das Reich Neptuns, wo hinterhältige kleine Garnelen in roten Ringelbodys und einarmigen Scheren süße Techno-Nixen fangen.

Gluckernde Töne aus dem Off: Die Band „Blue Screen“ um Jochen Fried trägt mit lautmalerischen Percussions – vom Klangholz bis zum Didgeridoo – den Bühnenakt, legt den Hörspiel-O-Ton unter die Bilder. Auch beim Grande Finale, denn schließlich will das Feuer bezwungen sein.

Zu flammenden Sambarhythmen schütteln rote Gestalten ihre Schöpfe, die glühenden Scheiteln ähneln. Der Beat wechselt zu Heavy Metal: Ein martialischer Feuergott betritt die Szene. In riesigen roten Schlaghosen, mit schillerndem Pailettenleibchen um Brust und Geschlecht, schwingt es drohend sein Schwert. Powerfrau Cincirli – Britta Karsch als Nina Hagen-Verschnitt – und Feuerteufel Bohne Bodenberger schleudern in einem wahren Slam Drohungen hin und her. Heiße Luft, die sich in der Schlussszene in einer riesigen Bühnenparty entlädt, aus der sich niemand so recht verabschieden mochte. Blue Hour.

Marijke Gerwin

„Anders reisen“ wird erst wieder im Sommer 2000 zu sehen sein