Die Sowjets im Kleingarten

■ In einer Treptower Kleingartenanlage erhielt die PDS bei den Wahlen zum Abgeordnetenhaus ein Volkskammerergebnis von 75,3 Prozent

Der PDS-Wahlhelfer Heinz Schulz* kann stolz auf sich sein. „Der da vorne hat PDS gewählt, der Nachbar auch, und der da hinten sowieso.“ Der Rentner vor dem Eingang der Kleingartenanlage „Waldland“ in Treptow zeigt zufrieden mit der kräftigen Hand auf die angrenzenden Lauben. Jeden vorbeikommenden Nachbarn begrüßt der 70-Jährige mit Handschlag. „Na, heute zur Kundgebung mit Gysi auf den Alexanderplatz?“, fragt er aufmunternd.

Im Wahlkreis 55, der Kleingartenanlage Waldland und den angrenzenden Wohnblocks hat die PDS dank Leuten wie Schulz ein Volkskammerergebnis erzielt. 75,3 Prozent gaben bei den Wahlen zum Abgeordnetenhaus der Partei ihre Stimme. 867 Wahlberechtigte wohnen in dem frisch renovierten Häuserkarree am südöstlichen Ende Berlins. 393 von ihnen stimmten für die PDS, 340 blieben gleich zu Hause. Die SPD kommt auf 5,4 Prozent.

Für Schulz ist das kein Zufall. „Die SPD hat viele Versprechen gemacht und keines gehalten“, meint er und wirft achselzuckend seinen Hausmüll in die Tonnen. Seit 1953 war er Mitglied der SED. „Die DDR war mein Leben, meine Erziehung, mein Ziel.“

Jetzt lebt der ehemalige Reichsbahner von 1.300 Mark Rente. Um neben Miete und Lebenshaltungskosten auch noch Geld für die Medikamente seiner schwer kranken Frau aufzubringen, muss er sich bei einem Wachschutzunternehmen verdingen. „Dafür habe ich über 40 Jahre fleißig und ordentlich gearbeitet“, schimpft er. Der Generationenkonflikt aber ist in der Familie Schulz längst aufgehoben: Kein Kind, das nicht die PDS wählen würde.

Von den rund 100 Laubenpiepern hat nur jeder Fünfte sein Kreuz nicht bei der PDS gemacht. Wendeverlierer sind die meisten der Wähler nicht. Die Arbeitslosenquote im Bezirk Treptow beträgt nur 9,6 Prozent, das Durchschnittseinkommen liegt nach Angaben des Statistischen Landesamtes bei 3.050 Mark im Monat.

Was soll man im Osten sonst wählen?“, fragt Andreas Passauer*, ein korpulenter 43-Jähriger. „CDU und SPD tun nichts für die Arbeiter!“ Bleibt die PDS. Die kämpfe gegen die Arbeitslosigkeit. Und das sei bitter nötig: „Selbst bei der Bundeswehr, die gleich nebenan in der Oberspreestraße angesiedelt ist, werden Arbeitsplätze abgebaut.“

Dass die PDS die Armee ganz abschaffen will, hält der ehemalige NVA-Berufskraftfahrer für falsch. Ihn stört an der Bundeswehr nur, dass die Soldaten am Wochenende die Kaserne verlassen dürfen. „Die NVA war straffer, da haben die jungen Leute noch Werte vermittelt bekommen.“ Und schiebt hinterher: „Ich bin für Ruhe, Ordnung, Sauberkeit; und gegen die Polizei und die ganze Abhörerei hab ich auch nichts, wenn niemand zu Schaden kommt.“

Als IHK-Wachschützer hat Passauer seine eigenen Rezepte gegen Armut und Obdachlosigkeit: „Wenn ich in der U-Bahn einen Penner ohne Fahrschein erwische, würde ich ihn am liebsten einliefern lassen und ihm Arbeit anbieten, auch gegen seinen Willen.“

Mit der Ausländerpolitik der PDS dürfte der PDS-Wähler ebenfalls seine Probleme haben – wenn er sie kennen würde. „Kein anderes Land lässt so viele Ausländer rein wie wir“, beschwert er sich. Gleichzeitig liefere die Bundesrepublik Panzer an die Türkei. „Und nur die PDS tut was dagegen.“

Eva Köhler* ist eine der 28 SPD-WählerInnen im Wahlbezirk. Ins Lob für die demokratischen Sozialisten will sie nicht einstimmen. „Wenn ich keinen Dreck am Stecken habe, ändere ich auch nicht meinen Namen“, kritisiert die 58-jährige Frührentnerin. Warum auch sie ihren Namen nicht nennen will, verrät sie dagegen nicht. Probleme mit ihren Nachbarn, versichert sie allerdings, habe sie wegen ihres Wahlverhaltens keine: „Eigentlich reden wir hier gar nicht so viel über Politik“.

Andreas Spannbauer
‚/B‘ * Name geändert