Rücksicht auf die rechte Basis

■  Giyasettin Sayan ist der einzige Abgeordnete nichtdeutscher Herkunft aus den Berliner Ostbezirken. In Lichtenberg ringt der Betriebswirt mit ausländerfeindlichen Vorurteilen

Mit zwei Küssen begrüßt Ali Baba, Wirt des „Bahnhof Bistros“ in Lichtenberg, seinen Volksvertreter: Sein Kumpel Giyasettin Sayan von der PDS ist da, was soll er jetzt von der Eingangstür seines Imbisses reden? Neonazis haben die Scheibe der Glastür vor ein paar Tagen eingeschlagen. Sie hatten etwas gegessen, drei Mark für den Döner waren ihnen offenbar zu viel gewesen.

Unwahrscheinlich, dass es Wähler Sayans waren, die hier randalierten. Aber die zersplitterte Scheibe kann als ein Zeichen für die Fremdenfeindlichkeit im Bezirk gelten. Sie ist auch ein Symbol für das Verhältnis von Sayans Basis zum offiziellen PDS-Programm in Sachen Ausländerpolitik: Nichts passt zusammen, aber die Sache hält.

Auf die Frage, ob es in Deutschland zu viele Ausländer gebe, antwortete ein Drittel aller PDS-Anhänger laut einer Emnid-Umfrage im vergangenen Jahr mit „Ja“. Bei den Krawallen von Kurden im Frühjahr dieses Jahres hätten nach einer Forsa-Umfrage 45 Prozent der PDS-Anhänger ein härteres Vorgehen der Berliner Polizei gegen die Kurden für gut befunden. Von den CDU-Anhängern waren es nur 42 Prozent. Und als die Bürger von Gollwitz in Brandenburg 1997 die Ansiedlung von 50 jüdischen Aussiedlern in ihrem Dorf zu verhindern suchten und dabei rassistische Sprüche loswurden, war es ausgerechnet die Kommunistische Plattform der PDS (KPF), die Verständnis für die Dorfbevölkerung zeigte.

So viel Verständnis einer PDS-Parteigliederung für rechte Ansichten ist selten. Dennoch ist die Distanz von PDS-Sympathisanten zu Ausländern häufig anzutreffen und kontrastiert damit das Parteiprogramm der PDS: Das sieht offene Grenzen für alle Menschen in Not vor, spricht sich gegen die Abschottung der „Schengen-Staaten“ vor Einwanderung aus und verspricht ethnischen Minderheiten in Deutschland mehr finanzielle Unterstützung.

Giyasettin Sayan bekommt diesen Gegensatz hautnah zu spüren. Der 49-jährige Kurde deutscher Staatsangehörigkeit holte ausgerechnet im Lichtenberger Bahnhofsviertel, einem beliebten Treffpunkt der rechtsextremen Szene, für die PDS das Direktmandat zum Abgeordnetenhaus. Er räumt ein, dass es eine Diskrepanz zwischen dem liberalen Parteiprogramm der PDS bei der Ausländerpolitik und der zweifelhaften Einstellung vieler PDS-Wähler zu Ausländern gibt.

„Sehr oft“ bekomme er von seinen Wählern die Frage gestellt, ob man nicht kriminelle Ausländer abschieben müsse. Dann argumentiert der Politologe und Betriebswirt stets, dass die meisten von ihnen doch hier geboren seien und deshalb auch hier, nach deutschem Recht, abgeurteilt werden müssten.

Die Mehrheit seiner Wähler sei bereit, „diese Frage liberal zu entwickeln“ und den Forderungen des Parteiprogramms zu entsprechen, sagt Sayan vorsichtig. Die PDS sei eine linke, internationalistische Partei: „Die Basis kann kein Hindernis bilden gegen diese Hauptentwicklung.“

Tatsächlich hatte Sayans kurdische Herkunft wenig Auswirkungen auf seinen Wahlerfolg. Der einzige Abgeordnete nichtdeutscher Herkunft aus dem Ostteil der Stadt bescherte seiner Partei mit 42,7 Prozent der Erststimmen ein sogar für Ostberliner Verhältnisse sehr gutes Ergebnis. Selbst wenn man berücksichtigt, dass der Kreisverband Lichtenberg mit 2.600 Mitgliedern der größte PDS-Verband in Deutschland ist, kann sich Sayans Erfolg sehen lassen.

Eine Hochburg ist Lichtenberg auch für die Rechten: NPD und „Republikaner“ holten hier zusammen bei den Wahlen zum Abgeordnetenhaus über fünf Prozent. Zusammen mit anderen hat Sayan daher in Lichtenberg eine „Initiative gegen Rechtsextremismus“ gegründet.

Seitdem ist er für die Rechten ein Hassobjekt: Seine Wahlplakate wurden abgerissen, er erhielt Drohungen, wurde auf offener Straße angespuckt.

Abfällige Bemerkungen über seine rechten Gegenspieler lässt sich der PDS-Politiker dennoch nicht entlocken: Die „kahlköpfigen Leute mit ihren Hunden“ sind für ihn offenbar nicht satisfaktionsfähig. Zudem widerstreben ihm harte Worte.

Ein bisschen mag dabei mitspielen, dass Sayan als Funktionär der linken Volkspartei PDS Rücksicht auf volkstümliche Ressentiments nehmen muss. Ein Beispiel: Obwohl in Lichtenberg so viele Menschen ohne deutschen Pass leben wie nirgendwo sonst in Ostberlin, widmet eine Werbebroschüre der Lichtenberger PDS den fast 15.000 Ausländern nur eine einzige Seite. Das Thema Schule wird dagegen auf drei Seiten abgehandelt. Philipp Gessler

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