Größenwahn zur Jahrtausendwende

Der Berliner Senat hat die Inszenierung des Millenniumspektakels einer privaten Firma und damit einem Mann mit ganz eigenem Kunstverständnis überlassen. Die „männliche Leni Riefenstahl“, Gerd Hof, provoziert mit Lichtdomen, und kaum jemand findet das blöd  ■   Von Margret Steffen

Es wird „das größte Millenniumspektakel der Welt“, frohlocken die Veranstalter von der Art in Heaven GmbH. Den erwarteten 500.000 Zuschauern auf der Straße des 17. Juni und 200 Millionen vor den Fernsehgeräten werden in der Silvesternacht 1999/2000 die Augen übergehen. Neben Feuerwerk und Musikshows sollen 800 Scheinwerfer den Berliner Himmel in eine „einzigartige Lichtkathedrale“ verwandeln, für die sogar der Flugverkehr eingestellt wird. Ein Superlativ also.

Doch der Vorab-Anblick auf der Website der Veranstalter ist weniger komisch und löst Befremden aus. Denn Monumental-Inszenierer Albert Speer, unter Hitler Bau- und Rüstungsminister, der mit Flakscheinwerfern „Lichtdome“ an die Parteitagshimmel strahlte, könnte für die Berliner Party zum Jahrtausendende Pate gestanden zu haben.

Indizien dafür gibt es genug: Den Regisseur Gerd Hof, Planer des Spektakels, nennt „Art in Heaven“-Sprecher Peter Massin eine „männliche Leni Riefenstahl“. Es werde kein „Fleurop im Himmel“ geben, dafür umso mächtiger „ein Weniger ist mehr“ in Bauhaus-Tradition. Das Konzept fasst er so zusammen: „Dieser Mann versteht Licht! Er will provozieren!“

Damit hat Gerd Hof Erfahrung. Aufsehen erregte er zusammen mit der als rechtslastig kritisierten Hardcore-Band „Rammstein“, für deren Live-Shows und Videos er Sequenzen aus Riefenstahl-Filmen verwendete. Politisch komme er zwar nicht aus dieser Richtung, so Massin, aber dass seine Ästhetik „aus dem Speerschen Bereich stammt, lässt sich sicher nicht leugnen“.

Kunst von Gerd Hof sei eine Waffe, seine Themen gingen in Grenzbereiche und Tabuzonen, heißt es in einer Erklärung von Art in Heaven. Dieser Regisseur nun soll der Choreograph des Millenniumwechsels in der deutschen Hauptstadt sein.

„Ein schlechter Start ins neue Jahr“, sagt die Hauptstadtbeauftragte der PDS-Fraktion, Gesine Lötzsch. Die kulturpolitische Sprecherin der Grünen in Berlin, Alice Ströber, will in Kunstdingen zwar „vorsichtig mit Verabsolutierung“ sein. Doch das, was vom geplanten Lichtspiel schon im Internet zu besichtigen ist, nennt sie „sehr unangenehm und nicht sehr originell“. Größenwahnsinn zur Jahrtausendwende sei unangemessen, vor allem, wenn sich solch unmittelbare Assoziationen zu den Reichsparteitagen aufdrängten. Gewusst hatte sie von der Show bisher nichts, denn wegen der Wahlen finde „seit dem Frühsommer wenig Parlamentarisches“ statt: „Bei uns ist niemand damit befasst.“ Verantwortung für den öffentlichen Raum könne aber nicht einfach abgegeben werden, nur weil private Unternehmen dort Veranstaltungen finanzierten.

Der Sprecher der Senatskanzlei dagegen, Hans-Friedrich Müller, sieht die Verantwortung für inhaltliche Fragen allein bei den beauftragten Privatfirmen. Der Senat habe sich vorrangig mit Sicherheitskonzepten befasst, für das Programm selbst sei die Silvester in Berlin GmbH (SiB) zuständig.

Für die Koordination der privaten und senatseigenen Veranstaltungen in der Silvesternacht gibt es zwar einen Programmbeirat. Dort werden aber nur Empfehlungen ausgesprochen, entscheiden können SiB-Geschäftsführer Willy Kausch und sein Regisseur selbstständig.

Neben Kausch und Stadträten aus den Bezirken Mitte und Tiergarten sitzt in diesem Beirat auch der Jahreswechsel-Sonderbeauftragte des Berliner Senats: Ulrich Eckhardt, zugleich Direktor der Berliner Festspiele GmbH. „Wir haben keine Bedenken“, sagt dessen Sprecherin Nana Poll. „Viele Leute stellen zwar einen Zusammenhang mit dem Dritten Reich her, aber man kann heutigen Generationen nicht verbieten, so Kunst zu machen.“ Eckhardt sieht in scharflinigen Lichtmonumenten keine Erfindung der Nazis, sondern der Moderne. Er kenne den Künstler und befürworte seine Pläne, so Sprecherin Poll.

„Der Beirat für den Jahreswechsel hat sich vier- oder fünfmal getroffen, um die grobe Planung abzusegnen“, sagt SiB-Geschäftsführer Kausch. „Ich kann dankbar sein, dass ich diesen Partner und Lichtdesigner gefunden habe.“ Noch im Frühsommer habe er nach einem Künstler mit großen, aber bezahlbaren Ideen für die Festmeile westlich des Brandenburger Tors gesucht. Durch Zufall traf er auf Art in Heaven und Gerd Hof, der noch dazu von Festspiel-Chef Ulrich Eckhardt als Künstler anerkannt sei. „Ich kenne das Konzept“, sagt Kausch, der sonst medizinische Kongresse plant und 1995 zu der Silvesterplanung gekommen sei „wie die Jungfrau zum Kinde“. Er spricht von „gigantisch“ und „sehr viel Licht“ und dass Hofs Inszenierung eben Bauhausstil sei. „Und dabei wollen wir es bewenden lassen.“

SiB ist nach eigener Auskunft einzige Bewerberin für die Sondernutzung der Straße des 17. Juni gewesen.

„Ästhetik ist frei“, sagt „Art in Heaven“-Sprecher Massin. Es komme darauf an, was man daraus mache.

Diese Frage soll nun ausgerechnet bei der Jahrtausendfeier in Berlin und vor aller Welt geklärt werden. Und diese Welt kann daran teilhaben, dass sich der Regisseur nach Auskunft von Sprecher Massin „keine Tabus“ diktieren lässt und es „so etwas wie eine deutsche Ästhetik“ gibt. Gut, dass Art in Heaven noch eine ganz eigene Message parat hat: „Die Botschaft ist das Zusammenleben und das Tolerieren der gesamten Völker und Kulturen der Erde“, heißt es in der Erklärung. Sie soll eine „Identität für das Zusammenleben“ schaffen, denn „ohne ein Zusammenwirken der Völker ist eine eigene Identität der Welt undenkbar“.

Hoffentlich missversteht da keiner, dass Berlin zum Jahrtausendwechsel die Frage der Völkerverständigung ausgerechnet Art in Heaven überlassen hat.