So gern den Vogts hüpfen lassen“

DIE SPIELER DES JAHRHUNDERTS. FOLGE 3: DIE 70ER-JAHRE – Willi Lippens, immer Intuition, nie Schablone: der „Muhammad Ali des Fußballs“  ■   Von Bernd Müllender

Gerd Müller wäre ein Kandidat gewesen. Aber was hat der zu bieten gehabt außer Bumm machen? Oder Schwarzenbeck, Beckenbauers bissiger Bluthund? Netzer (oder Overath) vielleicht? Mario Kempes? Zico? Oder Cruijff? Neeskens? Der vielleicht, wenn sein Elfmeter 1974 gereicht hätte.

Nein, alle viel zu gewöhnlich, trotz all ihrer Klasse. Die Wahl fällt auf Willi „Ente“ Lippens, den watschelnden Linksaußen-Komiker von Rot-Weiß Essen und später Dortmund. Lippens, der mit den Senk-, Spreiz- und Knickfüßen. Er war Spaßvogel, Lästermaul, Fußballclown, Dribbelgenie. Bei ihm bleiben nicht 92 Bundesligatore in Erinnerung, sondern bauernschlaue Sprüche und zahllose verschlagene Spitzfindigkeiten. Bis heute muss der Essener Fußballfreund erst gefunden werden, der Lippens an der Hafenstraße erlebt hat und nicht augenblicklich begänne zu schwärmen und mit strahlenden Augen immer neue kapriolenreiche Anekdoten zu erzählen anhöbe. Und bitte, es heißt andächtig: „Der Ente“.

„Ich habe immer für die Galerie gespielt“, sagt der holländische Linksaußen mit den Körperdrehungen hart an der Grenze zum anatomisch Möglichen, „so als wäre jeder Zuschauer mein bester Freund.“ Und: „Meine Art zu spielen war sicher die schwierigste: Zweckmäßigkeit perfekt mit Finesse und Show zu verbinden.“ Die Strafraum-Philosophie des Ente: „Niemals habe ich eine Torchance überhastet vergeben, lieber habe ich sie vertändelt.“

In der Jugend war Lippens (54) einmal ein Kopfballtor im Handstand gelungen; später in der Bundesliga fand er Zeit, Bälle mit dem Hintern zu stoppen oder sich auch schon mal auf den Ball draufzusetzen, um auf Gegenspieler zu warten, mit denen er neuen Schabernack treiben konnte. Lippens war immer Intuition, nie Schablone. „Homo ludens am Leder“ schrieb mal einer.

Die bekannteste Anekdote ist die mit dem Schiedsrichter. Der sagte: „Ich verwarne Ihnen“. Antwort: „Ich danke Sie.“ Lippens flog vom Platz und sagt heute, er hätte mit diesem Mann gern beim Bierchen noch mal über die Szene geredet. Oder gemeinsam gelacht. Nicht alle Legenden stimmen übrigens: Etwa die Sache mit den Kohlköppen. Es hieß immer, in seiner frühen Zeit als Gemüsehändler in der Essener Florastraße habe Lippens Wirsing und Rotkohl gern per Fallrückzieher in die Auslagen befördert. „Klingt gut. Stimmt aber nicht. Da hätt' ich mir ja die Füße gebrochen.“

Die Nationalspieler, sagt Lippens, „waren mir die Liebsten“, und er nennt neben Kaltz und Höttges vor allem Berti Vogts: „Den hab' ich am liebsten hüpfen lassen. Der Vogts hatte so schön kurze Beine, den konnte man gut ausrechnen.“ Aus heutiger Sicht betrachtet: Wie Lippens den Terrier daneben beißen ließ, war entlarvender als später manch böse Glosse über Vogts als verklemmten, geifernden Nationaltrainer.

Zum Karriereende wechselte Lippens als „Willy the Duck“ noch in die US-Profiliga zu den Dallas Tornados: „In Amerika gab es Verteidiger, denen ich noch keine Knoten in die Beine gespielt hatte.“ Aber USA, das war ihm zu viel Fliegerei und Air Condition. Nach acht Monaten kam er zurück und bilanzierte: „Einen, der mich ganz ausschaltete, habe ich nie erlebt.“ Und Sepp Maier lobte: „Es gab keinen Gefährlicheren.“ Deswegen hat sich der Sepp auch nicht getraut, auf Lippens berühmten Vorschlag einzugehen: Maier sollte ihm, Lippens, beim Torwartabstoß den Ball wie aus Versehen zuspielen. Er, Lippens, werde ihn wieder zurückpassen. Lippens sagt heute, selbstverständlich hätte er den Ball brav zurückgepasst. „Ehrensache.“ Zweifelt wer?

Seine niederländische Nationalität gab Lippens' Lebenslauf eine politische Pikanterie. Leicht hätte er den deutschen Pass bekommen, aber Willi hörte auf seinen Vater mit dessen Faschismus-Erfahrungen: „Wenn du Deutscher wirst, brauchst du nicht mehr nach Hause zu kommen.“ So spielte er für Holland, einmal. Und traf sogar.

Heute führt er in Bottrop eine Ausflugskneipe („Mitten im Pott“) mit Weiden und viel Viehzeug (inklusive Enten). Als Verbandsligatrainer verzweifelte er: „Ich wäre froh, wenn ich so Lippens-Typen dabei hätte, mutige Leute, frech“, hat er mal gesagt. „Ich ermuntere die oft: Mach mal was Schräges. Aber das ist so schwer. Dabei ist doch schräg gleich clever.“

Weil er „den Rasen zur Bühne gemacht“ habe, ernannten sie ihn auf der RWE-Fanpage zum „Muhammad Ali des Fußballs“. Wenn der Vergleich stimmt, wäre Netzer der Mildenberger des Fußballs und Overath Bubi Scholz. Hätte man so jemanden ehren sollen?

Bislang von taz-Experten gekürt:

00er-Jahre:

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