Bildung statt Sozialismus

■  Die CDU hat Bildung als Wahlkampfschlager entdeckt. Wie Hessens Roland Koch geht auch Jürgen Rüttgers in NRW mit Schulthemen in die Offensive. Hinter liberaler Fassade verstecken sich konservative Bildungsideen

Göttingen (taz) – Roland Koch, Jürgen Rüttgers und Volker Rühe verbindet etwas. Sie versuchen, das Feld der Bildungspolitik für ihre Partei zu erobern. Der Anfang ist gemacht. Koch ist es auch mit Attacken gegen den rot-grünen Bildungsnotstand in Hessen gelungen, die Union zum Sieg zu führen. Nun ist er, was Rüttgers in Nordrhein-Westfalen und Rühe in Schleswig-Holstein noch werden wollen: Ministerpräsident. Ihre Devise heißt deshalb „Von Roland lernen heißt siegen lernen!“

Das Konzept scheint aufzugehen. Die NRW- CDU machte den Stundenausfall an den Schulen an Rhein und Ruhr zum Thema der Kommunalwahl im September - und gewann. Jetzt wird nachgelegt. Vor der Schicksalswahl für die zerzauste Sozialdemokratie zum Landtag im Mai verspricht die Union nicht mehr Populäres wie eine Unterrichtsgarantie. Sie hat auf ihrem Parteitag am Wochenende gleich ein ganzes Bildungsprogramm verabschiedet: „Bildungschancen verbessern – Schule in Ordnung bringen“.

Neben den üblichen Phrasen wie „Lernen lernen“ oder „Wissen über Wissen“ findet sich dort eine eindrucksvolle Mischung verschiedenster Ansätze. Die CDU bekennt sich etwa klar zum dreigliedrigen Schulsystem: „Als Alternative zum gegliederten Schulsystem hat die Gesamtschule (...) längst abgedankt“, steht im neuen Bildungsprogramm. Gemeint ist, wie bei der CDU gehabt, dass Schüler je nach Leistungsvermögen Haupt-, Realschule oder Gymnasium besuchen sollten.

Wenn Rüttgers auf Straßen und Plätzen Wahlkämpfer ist, hört sich das ganz anders an. Die CDU müsse ihre ablehnende Haltung zur Gesamtschule überdenken, lautet die zentrale Botschaft, die der ehemalige Bundesbildungsminister unters Volk streut, seit er Wolfgang Clement (SPD) als Ministerpräsident ablösen will. Auch der Parteitag folgte dem Vorsitzenden Rüttgers. Einen Antrag, der einen Ausstieg aus der Gesamtschule fordert, stimmten die Delegierten vorsorglich nieder – man will kurz vor der Wahl keinen allzu kämpferischen Eindruck in einem Land mit über 200.000 GesamtschülerInnen machen. Herbert Reul, Generalsekretär der NRW-CDU, findet es deshalb auch „eine schwierige Frage, ob das Programm konservativ oder progressiv ist“.

Im Zentrum des neuen christdemokratischen Bildungsprogramms steht der Wettbewerb. „Leistungsnivellierende Gesetze und Erlasse und Verordnungen“ etwa sollen abgeräumt werden. Stattdessen werden Ziffernoten und Zentralabitur gefordert – um eine messbare Konkurrenz zwischen den Schülern herzustellen. Ein Ranking zwischen Schulen und Bundesländern soll es außerdem geben. Lehranstalten, die bei solchen Vergleichen erfolgreich sind, will die CDU durch „öffentliche Ehrungen und außerplanmäßige Sachmittel belohnen“. Auch vor den Kleinsten soll der Wettbewerb nicht Halt machen: „Wer unseren Kindern Noten und damit Anreize und Vergleichsmöglichkeiten nimmt, der stiehlt ihnen Zeit und verhindert, dass sie unsere Leistungsgesellschaft begreifen, verstehen und annehmen.“ Rüttgers Traum: Der Abc-Schütze beginnt die schulische Laufbahn als 5-Jähriger und lernt ab der 1. Klasse Englisch und Französisch. So weit, so neoliberal.

Ganz falsch liegt aber, wer nun glaubt, dass „aggressives Verhalten, Egoismus und Gleichgültigkeit vieler Schüler“ etwa eine Folge der in die Schule getragenen Leistungsgesellschaft seien. Die Verrohung der Kinder sieht die CDU begründet „durch viele Defizite in der Erziehung, durch massiven und unreflektierten Medienkonsum, durch die Folgen der hohen Ehescheidungsrate“. Da sei die Schule vor! Sie möge dem Sozialverhalten, ebenso Tugenden wie Ordnung, Fleiß und Pünktlichkeit, mehr Aufmerksamkeit widmen. Und das „in geeigneter Fom in Zeugnissen dokumentieren“. So weit, so konservativ.

SPD-Schmankerl in Unionsversion übersetzt

Wer nun noch nicht von der Bildungskompetenz der Union überzeugt ist, für den hält sie ein sozialdemokratisches Schmankerl bereit: „Bildung ist die neue soziale Frage des 21. Jahrhunderts“, heißt es. Also muss „in einer gerecht organisierten Gesellschaft jeder seine Chance auf Bildung gleichermaßen wahrnehmen können“. Dazu gehört es, Schlüsselqualifikationen wie Medienkompetenz oder Wissen über andere Kulturen zu erlernen. Und weil nicht jeder Delegierte das versteht, hat Rüttgers eine mundgerechte Übersetzung für Schlüsselqualifikationen parat. „Ich vermute“, sagte er auf dem Parteitag, „das ist einfach die gute alte Allgemeinbildung.“

Bildung wird bei der CDU neuerdings größer geschrieben als Innere Sicherheit. „Die Wähler sind von der Berliner Bildungspolitik enttäuscht“, sagt Herbert Reul, der bildungspolitischer Koordinator der Bundes-CDU ist. „Bei uns merken die Leute, dass wir auch umsetzen, was wir versprechen.“ Die Bildungsideen der CDU in Kiel, Düsseldorf und Wiesbaden sind deshalb nicht zufällig im Kern dieselben: Zentralabitur nach zwölf Schuljahren, Wiedereinführung von Kopfnoten, Steigerung des Leistungsgedankens und die Forderung nach mehr Lehrerstellen. Yassin Musharbash