■  Heute wird Gerhard Schröder ohne Widerstand seiner Partei wieder zum SPD-Vorsitzenden gewählt werden. Holzmann und Kohls Konten kamen ihm zupass. Wichtiger aber ist, dass er die Beziehung zur Basis gerettet hat
: Sie haben sich verstanden

Wie die Holzmann-Arbeiter „Gerd, Gerd!“ riefen. Einen besseren Auftritt hätte selbst „Münte“ für den Parteivorsitzenden nicht inszenieren können

mmer wieder drängt sich die Frage auf, wie tragfähig diese Beziehung ist. „Wir werden es miteinander versuchen, und ich bin ganz sicher, dass es gut wird“, hatte Gerhard Schröder im April vorigen Jahres feierlich versprochen. Da war er gerade zum neuen Parteivorsitzenden gewählt worden, wenige Wochen nachdem Oskar Lafontaine die Seine(n) abrupt im Stich gelassen hatte. Seitdem führen Vorsitzender und Partei eine Vernunftsehe – mit mehr Tiefen als Höhen.

Der bevorstehende Parteitag soll so eine Art Candle-Light-Dinner werden, mit besten Vorsätzen von beiden Seiten, diesen Neuanfang nun auf Dauer erfolgreich werden zu lassen. Die Bedingungen dafür sind nicht schlecht. Der designierte Generalsekretär Franz Müntefering bereitet seit Wochen das Tete-a-Tete vor: „Es kommt darauf an, dass der Parteivorsitzende für die Partei steht“, formulierte er dieVorgabe für Schröder. Und die Partei? „Wir sind die Selbstkasteiung ein Stück leid“, konstatiert der parlamentarische Staatssekretär im Bundesbildungsministerium, Wolf-Michael Catenhusen.

Der Parteilinke war anfangs von einem Vorsitzenden Schröder nicht begeistert, sah aber auch, dass die SPD „einen starken Mann“ benötige. So war Schröder in die Lücke gesprungen, und die SPD versuchte, sich mit ihm zu trösten. Es war und ist keine Leidenschaft, die diese Beziehung prägt. Die gab es für die alte Tante nur mit Oskar und – in ihren besten Jahren – mit Willy. „Gerd“, das war für die SPD, nach den missglückten Beziehungen mit Scharping und eben Oskar, der Typ, der sich aufdrängte. Weit und breit gab es keinen anderen, und schließlich hatte er sieben Monate vorher den „schwarzen Riesen“ Kohl aus dem Kanzleramt gedrängt.

Doch die erste Enttäuschung kam schnell. Schon Anfang Juni machte der „Genosse der Bosse“ deutlich, dass er sich die gemeinsame Zukunft ganz anders vorstellte als das Gros der Partei und erst recht als die Linken, die immer noch Oskar nachtrauerten. Nichts war mehr mit sozialdemokratischen Wohltaten und der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit als vorrangigem Thema. Stattdessen ging es um neoliberale „Deregulierung“ und um „Effizienz-, Wettbewerbs- und Leistungsdenken“ im Schröder/Blair-Papier. Zusammen mit dem nur wenig später angekündigten Sparpaket mit dem schönen Namen „Zukunftsprogramm 2000“ trat Schröder seiner Partnerin kräftig gegen das Schienbein. „Die Parteibasis ist verunsichert“, kommentierte damals Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD).

Auch der Kosovo-Krieg war nicht gerade dazu angetan, sozialdemokratische Kuschelstimmung aufkommen zu lassen. Die SPD fühlte sich verraten und verkauft von einem Aufsteiger im Brioni-Anzug und mit dicken Zigarren, der viel zu gern mit Wirtschaftsbossen dinierte. „Regieren macht Spaß“, hatte Schröder zu Beginn seiner Amtszeit verkündet, nun schlingerte seine Regierung ziellos dahin, scheinbar unfähig, Kurs zu halten: Rente mit 60 nein, Rente mit 60 ja. Vermögensteuer nein, Vermögensteuer ja. Aber immer wieder sparen, sparen, sparen. Die Wähler vermissten Geschlossenheit und „soziale Gerechtigkeit“ und zahlten es der Partei und ihrem Kanzler in den Landtags- und Kommunalwahlen im Herbst böse heim. „Der Partei fehlt eine Leitfigur“, hieß es immer wieder. Was nichts anderes bedeutete als: „Der Parteivorsitzende versagt.“

Ein Ende der Gemeinsamkeit war nicht mehr ausgeschlossen. Schnell wurde Franz Müntefering als Beziehungsberater reaktiviert und zum designierten Generalsekretär berufen. Er vermittelte zwischen dem Vorsitzenden und der Partei und verordnete ihnen viel gemeinsam miteinander zu verbringende Freizeit. Bezirksparteitage, Regionalkonferenzen, Betriebsratstreffen: überall musste Schröder sich zeigen und auch noch zuhören. „Da hat mich der Franz ja wieder irgendwo hingeschickt“, stöhnte er manchmal, akzeptierte aber brav den Arbeitsplan des „operativen Vorsitzenden Müntefering“ – so nennt ihn ein Präsidiumsmitglied.

Er hat diesmal wohl wirklich verstanden. Verstanden, dass er es alleine mit der Partei nicht schafft. So holte er sich vor dem Parteitag Rat bei alten Sozen, die er früher schon mal gerne von oben herab belächelt hat: Hans Koschnik, Erhard Eppler, Hans-Jochen Vogel. „Schröder ist ein lernfähiges System“, hat ihn kürzlich einer beschrieben, der ihn seit langen Jahren begleitet.

In der Tat zeigt die Beziehungsmisere Wirkung. Schröder hat sein Verhalten geändert, damit der „Kampf wir gegen uns“ aufhört. Und – was das Entscheidende ist – er tut es nicht mehr aus Taktik, sondern aus Einsicht. Er geht mehr auf die Partei zu, als er das noch vor einigen Wochen getan hat. Er hört zu und greift in seinen Reden die Argumente der Basis auf. Er hat es geschafft „wieder ein Stück in die Seele der Partei zu kriechen“, findet ein führender Sozialdemokrat, der noch vor acht Wochen fürchtete, „dass uns der der ganze Laden um die Ohren fliegt“.

„Schröder beginnt jetzt die Rolle des Parteivorsitzenden für sich zu entwickeln“, glaubt der linke SPD-Abgeordnete Konrad Gilges, der seit fast 20 Jahren im Bundestag sitzt. Dabei ist Schröder auch das Schicksal gnädig. Die Holzmann-Sanierung und die CDU-Spendenaffäre um Helmut Kohl sind für den Parteivorsitzenden „Geschenke des Himmels“, so ein Abgeordneter. Mit so viel Mauschelei und Trickserei bei den Christdemokraten und dem Einheitskanzler kann Schröder nur punkten. Und dann die Bilder von der Holzmann-Sanierung. Wie die Arbeiter nach den Verhandlungen „Gerd, Gerd!“ riefen. Einen besseren Auftritt hätte selbst „Münte“ für den Parteivorsitzenden nicht inszenieren können. Heiligabend auf sozialdemokratisch. Das wärmt die SPD-Seele, die Schröder doch so lange missachtet hat.

Bei so viel interventionistischer Politik fehlen auch der Parteilinken die Argumente. Deswegen werden sie bei der Debatte um die stärkere Belastung der Vermögenden, so wie sie Schröder vorgeschlagen hat, zwar noch ein wenig diskutieren, es aber „nicht zum Krach kommen lassen“, sagt Detlev von Larcher, der Sprecher der Linken in der SPD.

Geläutert von zahlreichen Enttäuschungen und krassen Missverständissen, ist bei beiden, bei Gerhard Schröder und seiner Partei, der SPD, offensichtlich die Erkenntnis gereift, dass sie nur miteinander und nicht gegeneinander weiterkommen. Bei Beziehugsberatern gilt dies als gute Basis für eine lang währende Partnerschaft. Kräftige Kräche inklusive. Karin Nink, Berlin