Fugmann macht der SPD nichts vor

■  Die scheidende Finanzsenatorin rechnet mit der Parteiführung ab und versucht sich bei der Basis als Hoffnungsträgerin zu profilieren. Die klatscht Beifall und schüttelt den Kopf

Die Reaktion der GenossInnen fiel gewohnt einhellig aus: Annette Fugmann-Heesing bekam großen Applaus und hat sich dennoch weiter isoliert

Es war eine vernichtende Abrechnung mit der gesamten Parteiführung. Unterkühlt wie immer ging Annette Fugmann-Heesing beim SPD-Parteitag am Montagabend zum Frontalangriff über. Die Finanzsenatorin, deren Ressort die SPD in den Koalitionsverhandlungen an die CDU abtrat, machte kein Hehl aus ihrer persönlichen Enttäuschung. Zu Fraktionschef Klaus Böger sagte sie: „Klaus, du hast mich geholt, weil Berlin finanziell vor die Wand zu fahren drohte – ex und hopp?“

Gleich darauf folgte im ICC die nächste Breitseite: In den Koalitionsverhandlungen sei die Krankenhausplanung offen gelassen worden. „Klaus, in unserer gemeinsamen Anfangszeit hätten wir das zu Ende verhandelt.“

„Zukunft braucht Mut“, lautete das Grundmotiv ihrer Rede. „Wo ist unser Mut geblieben?“, fragte sie. Von der SPD-Wahlkampfbotschaft sei nur noch eines übrig geblieben: „Berlin bleibt doch Berlin“. Fugmann-Heesing warf ihrer Partei Versagen vor. „Viele haben mir immer vorgeworfen, die Finanzpolitik sei zu dominierend gewesen. Woran lag das eigentlich? Warum war da keiner, der ein anderes dominantes Thema, unser Zukunftsprojekt fand und durchsetzte?“ Parteichef Peter Strieder, der die Haushaltskonsolidierung vor kurzem als „Drecksarbeit“ bezeichnet hatte, hielt sie vor: „Peter, darin steckt mehr die Abwehr der Herausforderung als die Annahme.“

Auch Parteivize Hermann Borghorst bekam sein Fett weg. „Hermann war bereit, auf die Forderung der CDU nach Senkung der Gewerbesteuern einzugehen. Ich war hart dagegen.“ Doch es blieb nicht bei der persönlichen Kritik Einzelner. „Die Koalitionsgespräche sind mit der entschiedenen Absicht geführt worden: Die schwierigen Entscheidungen sollen die anderen treffen. Das war die Strategie des geschäftsführenden Landesvorstandes. Und was ist dabei herausgekommen? Die schwierigen Entscheidungen sind offen geblieben.“ Im Saal war es mucksmäuschenstill.

Mit dem Motto Klarheit und Wahrheit hat Fugmann-Heesing bei ihrem Amtsantritt die Kassenlage der Stadt schonungslos offen gelegt. Zu Parteiinterna hat sie stets geschwiegen. Am Montag kam auch hier der Moment der Wahrheit: „Ich halte den gegenwärtigen geschäftsführenden Landesvorstand nicht für fähig, die Zukunftsdiskussion für die Partei, für die Stadt zu führen.“

Es war der erlösende Satz. Der Satz, in dem sich der ganze aufgestaute Unmut der letzten Tage Bahn brach. Eine Woge von Beifall brandete auf.

Nur indirekt deutete Fugmann-Heesing an, dass sie bei den Parteiwahlen im Sommer 2000 als eine der vier stellvertretenden Parteivorsitzenden kandidieren könnte. Es reiche nicht, als Einzelner in den Landesvorstand zu gehen. „Es muss grundsätzlich die Bereitschaft geweckt werden, mittelfristig einen personellen und inhaltlichen Neuanfang zu wagen. Dabei werde ich mitwirken.“

Versuchte sich da eine als die neue Hoffnungsträgerin der Partei zu positionieren? Wie viel Unterstützung hat Fugmann-Heesing wirklich? Der Beifall des Parteitags taugte nur bedingt als Gradmesser. In den letzten vier Jahren musste Fugmann-Heesing ihren Sparkurs immer wieder mühsam gegen die Parteitagsdelegierten durchsetzen. Nun, da sie als Opfer vor ihnen stand, klatschten sie ihr zu. Die linke Bundestagsabgeordnete Renate Rennebach brachte die Schizophrenie der Genossen auf den Punkt: „Ich komme mir vor, als hätte sich die böse Schwiegermutter in die gute Fee verwandelt.“

In der Tat trügt der Beifall. Die Reaktionen auf Fugmann-Heesings Rede waren einhellig, bei linken wie rechten Sozialdemokraten. Ein Wort fiel immer wieder: „Überzogen.“ Kopfschütteln bei den Genossen in der Raucherlounge. „Selbstherrlich“ und „selbstgerecht“ sei die Finanzsenatorin aufgetreten. Als Vertreterin des einzig richtigen Wegs, als einzig Mutige unter Mutlosen. Ein Genosse brachte es auf den Nenner: „Sie hat sich unter Applaus weiter isoliert.“

Und auch die Instanz für parteiinterne Gerechtigkeit, der scheidende Justizsenator Erhart Körting, hielt Fugmann vor: „Es ist in der Politik selbstverständlich, dass man Macht immer nur für eine begrenzte Zeit erhält.“

Der siebenköpfige geschäftsführende Landesvorstand, der auf der Bühne in der zweiten Reihe saß, wirkte freilich wie vor den Kopf geschlagen. Keine Frage, an diesem Abend sind neue Wunden gerissen worden. Der sozialdemokratische Zyklus von Kränkung, Verletzung und Revanche setzte sich fort. Solidarisch mit Fugmann-Heesing zeigt sich ein anderes prominentes Opfer der Partei: Walter Momper. Er hatte Fugmann-Heesing aufgefordert, für den Landesvorstand zu kandidieren. Doch so mancher bezweifelt, ob Fugmann-Heesings Sympathievorrat bis zu den Parteiwahlen reichen wird. Dorothee Winden