■ Schröder lobt die Gegenfinanzierung und bleibt SPD-Chef
: Pragmatismus als Prinzip

Brav hat er geackert, Thema für Thema abgegrast, Kosovo, Atomausstieg, Europapolitik. Er hat die Hände beschwörend erhoben, wo's der Text erlaubte, und die Fäuste geballt, wo das Manuskript Nachdruck gebot. Bei seinem Auftritt am Kanzlertag des SPD-Parteitags hat Gerhard Schröder nichts falsch gemacht – und doch nicht gewonnen. 86,3 Prozent bei seiner Wiederwahl als Vorsitzender sind ein beachtliches Ergebnis. Aber Gerhard Schröder hat auf dem Parteitag die entscheidende Frage unbeantwortet gelassen: Kann der SPD-Vositzende Schröder seiner Partei mehr geben als die Befriedigung, dass einer der Ihren Kanzler ist?

Seinem Publikum von der Parteibasis hat er einiges geboten: Es gab Haue für Helmut, den Vorgänger im Kanzleramt, und Großmut für Oskar, den Vorgänger im Parteiamt. Er hat zum Gefecht wider die Zweidrittelgesellschaft geblasen und den Verlust der Mehrheit in Hessen zum Preis für den Kampf um den Doppelpass stilisiert. Die Genossen Delegierten dürften es zufrieden sein. Oder haben sie gemerkt, dass da eine Kleinigkeit fehlte?

Was hat der SPD-Vorsitzende gesagt zum künftigen Gesicht der Partei? Zum Kurs jenseits des Regierungsalltags? Es fehlte die große Linie, ein Leitmotiv, es fehlte der entscheidende Satz, der mit den Worten beginnt „Ich, der Parteivorsitzende, glaube, denke, sage ...“ Gerhard Schröder hat in Berlin gesagt, was er immer sagt – und was seine Zuhörer von den Unterbezirksverbänden an ihren Info-Ständen ohnehin erzählen.

Er ist in die Falle getappt, vor der alle Parteivorsitzenden stehen, die zugleich Kanzler sind. Er hat die Arbeit der Regierung verteidigt, aber nicht darüber hinaus gedacht. Sein heimlicher Held war der Finanzminister, sein Lobpreis galt der Gegenfinanzierung. Wie einen Notar zur Beurkundung seiner Solidität zitierte er ein ums andere Mal Hans Eichel.

Die Vereinigung von Kanzlerschaft und Parteivorsitz nach dem Lafontaine-Rücktritt mag machttaktisch sinnvoll und politisch unausweichlich gewesen sein. Dass der neue Generalsekretär Müntefering Pragmatismus zum Prinzip der SPD machen will, überrascht nicht. In Tagen, in denen so viel über das System Kohl debattiert wird, machte der Berliner Parteitag aber auch eine Gefahr für die SPD deutlich: Wenn ihr unter einem Universalchef künftig immer weniger statt immer mehr einfällt, befindet sie sich auf dem besten Wege zum System Schröder.

Patrik Schwarz