Richtig, aber falsch

■ Die westliche Kritik bleibt halbherzig. Zuweilen gibt es sogar „Verständnis“

Für die russische Regierung weist die westliche Kritik des Ultimatums an die Bevölkerung Grosnys in die falsche Richtung. Regierungschef Wladimir Putin rief den Westen gestern dazu auf, lieber Druck auf die tschetschenische Führung auszuüben. „Wenn einige Vertreter anderer Staaten über die Ereignisse im Kaukasus so besorgt sind, dann sollten sie ihren Einfluss nicht nur dafür nutzen, Druck auf die russische Führung auszuüben“ sagte Putin im Fernsehen. „Sie sollten ihren Einfluss nutzen, um Geiseln (in Tschetschenien) freizubekommen.“

Zuvor hatten Vertreter westlicher Staaten und interationale Organisationen die russische Drohung gegen Grosny verurteilt, teilweise aber auch Verständnis geäußert. US-Präsident Bill Clinton warnte Russland, es werde „einen hohen Preis zahlen“, sollte es die Drohung wahr machen, die tschetschenische Hauptstadt vollends zu zerstören. Mit jedem Tag verliere das Land an Wertschätzung in der Welt. Einschränkend fügte Clinton hinzu: „Russlands Kampf gegen den Terrorismus ist richtig, aber die in Tschetschenien angewandten Methoden sind falsch und ich bin davon überzeugt, dass sie kontraproduktiv sind.“ Auch Vertreter der EU, der OSZE und Menschenrechtsorganisationen verurteilten das russische Ultimatum.

Doch der Westen steht keineswegs geschlossen da. Nato-Generalsekretär George Robertson verteidigte das russische Vorgehen. Nach den Geiselnahmen der vergangenen Zeit habe Moskau „keine andere Möglichkeit gehabt, die Ordnung in diesem Teil des Kaukasus wiederherzustellen“, sagte er der belgischen Zeitung Le Soir. Er bescheinigte der russischen Führung, sie handele „sehr viel vorsichtiger“ als vor zwei Jahren.

Chinas Regierung reagierte ähnlich. „Die chinesische Seite versteht und unterstützt die Bemühungen Russlands, die nationale Einheit und territoriale Integrität zu wahren“, sagte die Sprecherin des Pekinger Außenministeriums, Zhang Qiyue, gestern vor dem Besuch Präsident Jelzins.

Eine Vermittlerrolle zwischen Russland und Tschetschenien bot gestern die Islamische Konferenzorganisation (OIC) an. Eine Delegation unter Leitung des iranischen Außenministers Kamal Charasi traf in Moskau ein und forderte die Regierung zu Friedensverhandlungen auf. Führende Muslime in Russland und anderen Staaten fürchten, dass die russische Offensive auf Grosny mit dem Beginn des Fastenmonats Ramadan zusammenfallen könne.

Der Internationale Währungsfonds (IWF) verschob die Freigabe einer seit langem ausstehenden Millionen-Kreditrate an Russland erneut um mehrere Wochen. Das meldete die Nachrichtenagentur Interfax unter Berufung auf IWF-Kreise in Moskau. Nach Ansicht der russischen Regierung wurde die Gewährung der Kreditrate in Höhe von 640 Millionen Dollar wegen der westlichen Ablehnung der russischen Kriegsführung in Tschetschenien aufgeschoben. bs