Zu einer Kapitalflucht darf es nicht kommen“

■ Thüringens SPD-Chef Matschie über seinen Bedarf an sozialer Gerechtigkeit – und Konzepte

taz: Herr Matschie, Sie sind seit einer Woche Vorsitzender der SPD in Thüringen. Wie wollen Sie die PDS, die Sie dort auf den dritten Platz verdrängt hat, wieder einholen?

Christoph Matschie: Wir wollen natürlich wieder vor der PDS landen bei den nächsten Wahlen. Das geht nur, wenn wir soziale Gerechtigkeit in den Mittelpunkt der politischen Auseinandersetzung stellen. Aber dafür braucht man praktikable Ansätze, wie man mehr Gerechtigkeit schafft. Die PDS hat bisher nur Luftschlösser gebaut.

Sie haben beim SPD-Parteitag die Chance, mehr soziale Gerechtigkeit zu schaffen. Wie werden Sie die Vermögenden am Gemeinwohl beteiligen?

Wir sind in der Verständigung auf das Fünf-Punkte-Papier so weit gekommen, wie es zum jetzigen Zeitpunkt möglich ist. Wir werden Kapitaleinkommen stärker besteuern und die Grundvermögen neu bewerten – das kommt einer Erhöhung der Erbschaftssteuer gleich. Außerdem schaffen wir im Stiftungsrecht die Möglichkeit, mehr private Gelder öffentlich einzusetzen. Mehr ist derzeit nicht möglich.

Die Punkte sind aber sehr unverbindlich. Glauben Sie, dass Sie damit Ihre Wähler überzeugen?

Es ist ja nicht so, dass das alles ist, was wir für Gerechtigkeit getan haben. Unsere Einkommensteuerreform hat deutlich bei den unteren Einkommen und den Familien entlastet. Was wir jetzt beschließen, sind weitere Schritte zu mehr Gerechtigkeit. Darüber bin ich froh. Ich glaube aber auch, dass die Diskussion weiter gehen muss.

Um eine Vermögensteuer einzuführen? Das wäre doch der klarste Weg.

Ja, aber dem stehen sehr viele Hemnisse entgegen. Wir haben lernen müssen, dass es ein ungeheurer bürokratischer Aufwand wäre, alle Grundvermögen neu zu bewerten. Das müsste aber bei einer Wiedereinführung der Vermögensteuer passieren. Es gibt in der SPD ein großes Bedürfnis, auch Vermögende steuerlich stärker für die Konsolidierung des Bundeshaushalts heranzuziehen. Allein 30 Anträge für diesen Parteitag verlangen – wie es einer sagt –, dass es auch ein Sparpaket für Reiche geben muss. Wir dürfen große Einkommen und Vermögen nicht aus der Verantwortung entlassen. Das ist vollkommen richtig. Es darf nicht passieren, dass am unteren Ende der sozialen Pyramide immer mehr ausgegrenzt werden und sich oben immer mehr Privilegierte ihrer gesellschaftlichen Verantwortung entziehen. Nur hat Politik die Aufgabe, das so zu gestalten, dass es in den europäischen Gesamtrahmen hinein passt. Es darf nicht zu einer Kapitalflucht kommen.

Trotzdem: Müsste der Parteitag den Ausgleich zwischen oben und unten nicht energischer fordern?

Es ist nicht alles Wünschenswerte erreicht. Aber man sollte jetzt nicht auf einem Parteitag etwas beschließen, was im Bundesrat keine Chance auf eine Mehrheit hat – und die Regierung so in eine Zwickmühle bringen.

Interview: Christian Füller