Wir haben wieder Gerechtigkeit“

Schröders Rede auf die neue Bescheidenheit wird von den bescheiden gewordenen SPD-Delegierten mit solider Wiederwahl und solidem Lob honoriert  ■   Aus Berlin Karin Nink

Ein Ruck geht durch den Kanzler. Den Rücken durchgedrückt, den Blick konzentriert auf die Delegierten gerichtet: Jetzt kommt es darauf an. Auf den „Neuanfang“, auf den Funken, der überspringen soll. Jetzt soll er den 515 Delegierten beweisen, dass er nicht nur für Innovation, sondern auch für soziale Gerechtigkeit steht. Dass er die Seele der Partei begreift. Die Genossen und Genossinnen sind wohlwollend gestimmt. Sie nehmen ihm vor seiner mit viel Spannung erwarteten Rede ein Stück der Nervosität mit einem lang andauernden Begrüßungsapplaus.

Gerhard Schröder fängt mit der Seele an. Er erinnert an die historischen Leistungen der Partei und ihre Opfer und schlägt den Bogen in die Zukunft. „Wir haben nicht nur einen Regierungsauftrag, sondern auch den Auftrag, das Land ins nächste Jahrhundert zu führen.“ Damit hat er die Genossen gerührt, ihre Seele gewärmt. Nun kann er sich vorarbeiten zur „Innovation“. Nicht ohne sich genussvoll an der alten Regierung abzuarbeiten. Kohl habe Deutschland mehr verwaltet als saniert. „Saniert haben die nur ihre Parteikasse.“ Dem großen Applaus begegnet Schröder mit staatsmännischer Bescheidenheit: „Das hat Deutschland nicht verdient.“

Verdient habe das Land aber die neue Politik der Sozialdemokraten. Die sozial ausgewogen, aber modern sein soll. Der Kanzler und Parteivorsitzende macht deutlich, dass er an seiner modernen Wirtschaftspolitik und damit auch an der Sparpolitik festhält – trotz Holzmann. „Das war keine grundsätzliche Entscheidung“, aber „die Politik hat die Verpflichtung, existentielle Krisen vermeiden zu helfen“. Schröder weiß die Rechten als auch die Linken einzubinden: „Wir handeln, aber wir ideologisieren unser Handeln nicht.“

Der Kanzler redet von wir, als er die bisherigen Leistungen von Rot-Grün aufzählt. Wir, die Sozialdemokraten: „Wir haben wieder Gerechtigkeit hergestellt“, zum Beispiel mit der Steuerpolitik und der Erhöhung des Kindergeldes. „Wir können das mit Stolz und Selbstbewusstsein sagen.“ So lässt sich einen und zusammenführen. Mehr wird nicht erwartet.

Die Partei weiß, dass sie mit Schröder keinen Visionär an ihrer Spitze stehen hat, sondern einen Pragmatiker, der dann zur Höchstform auflaufen kann, wenn er Krisenmanager spielen muss.

Wohlwollend honorieren die Delegierten ihm seinen versöhnenden Ton. Schließlich hat der neue und alte Parteivorsitzende ordentlich seine Hausaufgaben gemacht. Nach all den Querelen und Wahlniederlagen ist man bescheiden geworden bei den Sozen. Schröder wird mit 86,3 Prozent zum Parteivorsitzenden wiedergewählt. Zehn Prozent mehr als im April und auch mehr, als die meisten Delegierten erwartet hatten.

„Er hat in seiner Rede vernünftigt ausbalanciert, und die nötige Versöhnung gegenüber Oskar Lafontaine hat sie auch enthalten“, sagt Ernst von Weizsäcker hinterher. Auch der Parteilinke Gernot Erler ist erkennbar zufrieden: „Das war der gelungene Versuch, die mittelfristige Richtung der Regierung zu definieren.“

Darauf haben die Genossen gewartet. Schröder konnte der Basis klar machen, dass eine Modernisierung der Sozialsysteme nötig ist, um auch in Zukunft soziale Sicherheit gewähren zu können. Die 82 Milliarden Mark Zinsen, die jedes Jahr für die Staatsverschuldung gezahlt werden müssen, „werden den kleinen Leuten aus der Tasche gezogen und landen bei den Banken und Versicherungen“, schimpft Schröder. Deswegen baue er die Staatschulden ab für „die Ausbildung der Kinder“ und für die Gesundheitsversorgung. „Die Zukunftspolitik hat bereits begonnen“, ruft Schröder den Delegierten kämpferisch zu. „Wir haben nämlich wieder Gerechtigkeit hergestellt.“

„Damit“, sagt Erler, „hat er den Touch vom Schröder/Blair-Papier genommen“. Was zweifellos ein gewollter Effekt war. Und so war auch nicht Tony Blair, sondern der für seine eher linke Politik bekannte französische Ministerpräsident Lionel Jospin auf dem Berliner Parteitag zugegen und hielt eine Rede, in der er seine bisher nicht erkennbare Freundschaft mit Schröder betonte.

Schröders neue Bescheidenheit kommt besser an als die von ihm deklarierte Idee der „neuen Mitte“. „Wir brauchen einen Vorsitzenden, dem die soziale Gerechtigkeit Herzenssache ist“, resümierte eine Delegierte nach Schröders Rede, „und wir haben einen solchen Vorsitzenden.“