Digitalisierte Curry-Würste

■ Treffen sich vier Amis und ein japanischer Synthesizer in einer Postrock-Karaoke-Bar: die Retrofuturisten Salaryman

Verwirrung zu stiften ist gar nicht mehr so einfach. Während es bei Tortoise noch genügte, auf Gesang zu verzichten, um einen Musikjournalisten derartig zu verwirren, dass ihm der Spartenbegriff „Postrock“ aus dem hochgekrempeltem Hemdärmel fiel, ist man heutzutage in Zuhörerkreis angesichts der eifrigen Nachahmerschar doch um einiges abgeklärter. Minimalistisches Papp-Cover im Bauhaus-Stil und 20 Minuten-Tracks sind mittlerweile fast schon Serienerscheinung einer scheinbar uniformen Musikbewegung. Unbehagen macht sich breit, das Wort „Postrock“ wird eher ausgespuckt als ausgesprochen und dann am Boden liegend belächelt, als hätte man beim dinnieren im Nobel-Libanesen doch plötzlich die altbekannte Currywurst zwischen den Zähnen entdeckt: „Von wegen avantgardistisch (Postrock) / exotisch-würzig (Currywurst), dich kenn' ich doch!“ sagen Hörer, Musiker und hungrige Angestellte in ihrer Mittagspause, die mal wieder was ganz Neues suchen, aber nichts finden.

Um so bemerkenswerter, dass nach Salarymans 1997 erschienenem Debütalbum auch der diesjährige Nachfolger Karoshi für feuchte Stühle und Jubelarien in verschiedensten Musikredaktionen sorgte. Auslöser dafür war wohl nicht selten das futuristische Kos-tüm in dem sich die Combo aus Illinois gerne präsentiert: Produkte der Band füllen sich mit Symbolen und Terminologie aus High-Tech Heimwerkstatt Japan wie die berühmten U-Bahnen Tokios mit Menschenmassen. Zu dieser Weltsicht passt auch die Namensgebung: „Karoshi“ ist eine japanische Wortkreation für so etwas wie „Tod durch Überarbeitung“. Ebenso wie der in Japan „Salaryman“ genannte stereotype Workaholic mit seiner Uniform aus weißem Hemd und Krawatte nur im Land der Überbevölkerung eine eigene Bezeichnung gefunden hat.

Der Öffentlichkeit geben sich Salaryman gerne in eben dieser Uniform hin, und die Referenz zum Kraftwerk-Mythos ebenso wie das Spiel mit der Bauhaus-Ästhetik signalisiert schon äußerlich, dass im Inneren der scheinbar so futuristischen Maschine vielleicht doch ein nostalgisches Herz schlägt. Und vergessen wir nicht: Salaryman kommen nicht aus Tokio, nicht mal aus Chinatown, sondern aus einem popeligem Städtchen in Illinois. Da wird der Rasen noch per Hand gemäht und das Kraut noch mit Schweiß gerockt. Und wer auf Karoshi berechenbare Zufälligkeit und komplizierte digitale Soundcollagen zu finden hofft, wird vom Artrock-Getrommel im Stile Trans Ams überrascht – und eventuell enttäuscht sein.

In der futuris-tisch- nostalgischen Symbiose des Salaryman-Universums herrscht vor hymnischen Synthesizern genauso wenig Scheu wie vor Hammond-Orgel-Kolorierungen im Elektro-Funk von „My Dog Has Fleas“. Modern hört sich Salarymans Auffassung von Postrock nie an, irritierend und deshalb spannend ist es allemal. Ein bisschen so, als würde man die gute alte Currywurst als Astronautenfutter wieder lieben lernen.

Philip Oltermann

Mo, 13. Dezember, 22 Uhr, Molotow