Die Grenzen des Ehrgeizes

Anton Tschechows Drei Schwestern ist Jürgen Flimms letzte Regiearbeit als Intendant des Thalia Theaters. Ein Gespräch, eine Bilanz, ein Ausblick  ■ 

Den Kirschgarten, Platonow und Onkel Wanja hat er schon inszeniert, mit den Drei Schwestern setzt er nun ein lang gehegtes Tschechow-Projekt in die Tat um. Es ist Jürgen Flimms letzte Regiearbeit am Thalia Theater in seiner Eigenschaft als Intendant des Hauses, das er zum Ende der Spielzeit verlässt und Ulrich Khuon übergibt. Der gebürtige Gießener war 1985 vom Kölner Schauspiel an die Alster gewechselt, um die Nachfolge von Peter Striebeck anzutreten. Da kannte man ihn in Hamburg bereits gut: 1971 ging hier seine erste Inszenierung über die Bühne, 1973 bis 1974 – unter der Intendanz von Boy Gobert – war er Oberspielleiter des Thalia.

Sechs seiner Inszenierungen wurden zum Berliner Theatertreffen eingeladen. Beträchtlichen Erfolg hatte Flimm auch als Opernregisseur, neun Fernsehfilme drehte er und gründete zusammen mit Hark Bohm das Hamburger Institut für Theater und Film. Im vergangenen Jahr wurde er zum Miterfinder des Bundeskulturministeramtes und in der vergangenen Woche zum Präsidenten des Deutschen Bühnenvereins gewählt. Die taz hamburg sprach mit dem 58-Jährigen über Tschechow, sein sentimentales Verhältnis zum Thalia und Zukunftspläne.

taz hamburg:Haben Sie die Drei Schwestern früher schon einmal inszeniert?

Jürgen Flimm: Nein, leider nie. Aber ich hatte es vor. Neulich habe ich eine ganz alte Besetzungsliste aus meiner Intendantenzeit in Köln gefunden – das hatte ich schon vergessen. Und eine alte Thalia-Besetzung existiert auch. Das ist schon ein langes Projekt.

Was schätzen Sie an Tschechow am meisten?

Dass er die Mittelmäßigkeit von Menschen so gut zeigt, sie dabei aber nicht denunziert, sondern liebt. Ich finde, es gibt keinen anderen Autor, der so gnadenlos mit gesellschaftlichen Vorgängen umgeht und gleichzeitig die Leute, die da vor sich hinstolpern, die Fehler machen und sich verirren, so beschützt. Das liegt aber auch an der Person von diesem tollen Mann: Er war ja auch privat so.

In den Drei Schwestern geht es ja um einen längst fälligen Absprung, der aus unterschiedlichen Gründen nicht gelingen will. Haben Sie sich als Thalia-Intendant in den vergangenen Jahre auch manchmal so gefühlt?

Ja, schon, aber das hat nichts mit Hamburg zu tun, sondern mit meiner Situation. Ich hab jetzt ein gesetztes Alter erreicht, war lange genug Intendant und hätte dieses Amt gerne schon früher abgegeben. Dann wurde ich aber von verschiedensten Seiten bekniet, doch noch ein paar Jahre weiterzumachen. Aber jetzt bin ich froh, dass ein anderer kommt und etwas Neues passiert.

Wenn Sie auf 15 Jahre Intendanz zurückschauen: Welcher Verdiens-te dürfen Sie sich rühmen?

Zu allererst haben wir einen großen Erfolg bei den Hamburgern gehabt. Dann ist das Theater ganz stark modernisiert worden. Es gibt ein neues Werkstattgebäude, und die Fassade ist renoviert worden. Die Ensemble- und Nachwuchsarbeit war sehr genau und intensiv. Viele, viele Schauspieler, die am Thalia angefangen haben, sind mittlerweile richtige Stars, 15 junge Regisseure haben hier debütiert, wir haben in der Zeit über 30 Uraufführungen gemacht.

Und einen ganz wichtigen Paradigmenwechsel haben wir vorgenommen, indem wir angefangen haben, eigene große Projekte zu machen wie Black Rider, Alice, Time Rocker und jetzt POEtry, wieder von Bob Wilson und Lou Reed. Mit diesen Stücken sind wir durch die ganze Welt gejettet. Das hat dem Theater auch innerlich sehr gut getan, denn man wächst auf solchen Reisen unheimlich zusammen. Es existiert hier keine starke Trennung zwischen Kunst und Technik – das ist ein sehr zusammengeschweißter, intelligenter Haufen Leute. Aber es gab natürlich auch Pleiten.

Welche war denn die schlimmste Inszenierung?

Ich will mal lieber von mir reden als von anderen: Ich habe auf grandiose Weise Richard III. in den Sand gesetzt, und das zum 150-jährigen Jubiläum. Wenn ich heute daran zurückdenke, bereitet es mir immer noch Schmerzen. Das war mein persönliches Waterloo.

Haben Sie je mit dem Gedanken gespielt, ganz aus Hamburg wegzugehen?

Nein, nie. Dabei hatte ich genug Angebote von anderen Theatern in anderen Städten wie Frankfurt, München, Berlin und immer wieder Wien. Ende der Achtziger sollte ich sogar Hamburger Generalintendant werden. Mein Ehrgeiz hat allerdings Grenzen, und ich fühlte mich hier ausgesprochen wohl. Ich habe mich gefragt: Was hast du davon, wenn du jetzt ans Burgtheater gehst? Es bringt dir mehr Geld: persönlich und an Etat. Es hat mich nicht interessiert. Zum Thalia Theater habe ich ein ganz sentimentales Verhältnis. Schon 1971 habe ich hier inszeniert: die Bremer Freiheit von Rainer Werner Faßbinder. Und seit der Zeit arbeite ich stetig an diesem Haus – mit einer Unterbrechung von sechs Jahren, in denen ich in Köln Intendant war.

Was wird aus Ihrer Hamburger Lehrtätigkeit im Fach Schauspieltheater-Regie, wenn Sie nun als freier Opernregisseur die Welt bereisen?

Da muss ich mal schauen. Es erleichtert mir ja das Leben, da ich dann zwischendurch größere Pausen habe. Ich will diese Lehrtätigkeit fortführen, vielleicht sogar intensivieren.

Sie inszenieren jetzt in Bayreuth 2000 den Ring und dann bis 2002 in New York, London, Mailand, Zürich und Wien – ausschließlich Opern. Brauchen Sie Abstand vom Sprechtheater?

Nein. Die Opernhäuser planen eben viel langfristiger.

An der hiesigen Staatsoper haben Sie seit 1981 nicht mehr inszeniert...

Aber da reden wir gerade drüber, der Metzmacher und ich, dass wir in der nächsten Spielzeit etwas zusammen machen.

Und was?

Das soll lieber der Metzmacher verraten.

Sehen Sie es als Versäumnis, bestimmte Stücke und Autoren nicht inszeniert zu haben?

Es ärgert mich, dass ich nie Botho Strauß inszeniert habe. Und von Peter Handke habe ich ganz früh einmal die Publikumsbeschimpfung inszeniert, aber dann nie wieder etwas. Die Stunde, da wir nichts voneinander wußten hätte ich sehr gerne gemacht.

Noch ist es ja nicht zu spät.

Aber es ist ja absehbar, wie viele Inszenierungen ich noch mache, in sieben, acht Jahren.

Und dann sind Sie Privatier?

Ja, ich habe ein Haus auf dem Lande. Und vielleicht schaffe ich es, dort zur Ruhe zu kommen.

Schreiben Sie dann Ihre Autobiografie?

Das ist doch langweilig. Wer interessiert sich denn dafür? Jeder hat ja eine interessante Biografie.

Oder ein Buch übers Theater?

Das ist sehr schwierig. Aber ich war ja lange dabei, da könnte ich viel erzählen.

Interview: Ralf Poerschke

Premiere: Freitag, 17. Dezember, 20 Uhr, Thalia Theater