Elektronische Seele

Molllastigkeit jenseits von Track und Song: „Nova Huta“ spielt heute Abend in der Schilleroper kleine große abgeschlossene Stücke  ■ Von Michele Avantario

Eigentlich ist Reznicek ja Gitarrist. Und zwar ein leidenschaftlicher. Er spielt die Akustische, Elektrische, Zwölfsaitige ebenso wie die Hawaii-, Effekt- oder Tischgitarre. Dazu singt er Countrylieder, Folkloristisches, oder er imitiert – wenn ihm mal danach ist – einen Singvogel. Nur eines wird man selten von ihm hören, nämlich das, was die meisten Gitarristen auf ihrem Ins-trument produzieren: Riffs. Denn mit nichts hat Reznicek weniger am Hut als mit gewöhnlicher Rockmusik. Und wer will ihm das verübeln?

Der gebürtige Mainzer und Wahl-Hamburger hat in den letzten acht Jahren schon mehrere Platten veröffentlicht. Dass nur die wenigs-ten davon auch nur irgendwo bekannt sind, hat die üblichen Gründe: Zum einen erscheinen die Werke in kleinen Auflagen auf Indie-Labels wie Odd Size, Staubgold oder Wachsender Prozess, deren Vertriebsleistung zwar respektabel, aber begrenzt ist. Andererseits produzierte Reznicek bisher keine Musik, mit der man Massen ansprechen könnte – fehlen den Kompositionen doch oft jene Merkmale, die Musik in der Regel greifbar machen: Melodien, herkömmliche Rhythmen, Wiederholungen.

Ganz anders Nova Huta (benannt nach einem Krakauer Stahlwerk im gleichnamigen Stadtteil). Unter diesem Pseudonym bringt Reznicek neuerdings Stücke he-raus, die hauptsächlich am Computer entstanden und die so schön sind wie die langen Wimpern ihres Erschaffers. ...at bambij robot's nonstop datscha, erschienen auf dem kürzlich gegründeten Label der Edition Stora, storage secret sounds, gleicht einer Zeitreise durch diverse Synthiepop-Epochen: Klangeskapaden wie bei Jean-Jacques Perrey, Minimalistisches wie bei den Residents, Wave-beeinflusste Nüchternheit, eine Prise Depeche Mode-Kitsch, vielleicht auch Der Plan ... Gemeinsamkeiten mit der zur Zeit gängigen Art, mit Computern und anderen Kisten Musik zu machen, gibt es jedenfalls so gut wie gar nicht.

Während es bei dem Grönland Orchester, das Reznicek mit dem Kollegen Jyrgen Hall betreibt, noch um die Gratwanderung zwischen Track und Song geht (eine momentan sehr beliebte Disziplin), ist bei Nova Huta diese Frage längst geklärt. „A Day In Nova Huta“ oder „Soft End“, um nur zwei Beispiele aus dem Album zu nennen, sind kleine große abgeschlossene Stücke voller Ideen, mit mehreren Themen und melodischen Variationen, die sich schwer melancholisch ins Ohr schmeicheln. Wunderbare Elektronik jenseits von Track und Song, zwischen den Stühlen sozusagen.

Übrigens: Die Molllastigkeit von ...at bambij robot's nonstop datscha soll laut Info etwas mit der „slawischen Seele“ des Musikers zu tun haben.

heute, 22 Uhr, Schilleroper