Bildungsroman für kiffende Cyborgs

Keine Namen, keine Erklärungen, man kennt die Regeln: Main Street Records ist ein weiterer Ableger des Techno-Labels Basic Channel. Die Compilation-CD „Round One to Round Five“ erklärt den Weg vom guten alten House zum Urban Dub  ■   Von Andreas Hartmann

Es gibt sie. Es muss sie geben. Die Gesichter, die Menschen, denen man die Musik von Basic Channel und dessen Umfeld zuschreiben kann. Gelegentlich, ganz selten, dürfen nach strikten Auswahlkriterien ausgesuchte Journalisten den magischen Techno-Zirkel betreten und sich Mark Ernestus und Moritz von Oswald, den Hohepriestern dieser viel gefeierten Elektronik-Schule, in ihrem geheimnisvollen Office am Paul-Linke-Ufer gegenübersetzen.

Aber keine Photos, bitte. Natürlich nicht. Und wirklich Licht ins Dunkel kommt bei diesen Gesprächen sowieso nicht. Im Gegenteil: Es wird nichts erklärt, die Geheimniskrämerei wird eher noch forciert. Die Musik soll gefälligst für sich sprechen, der Rest bleibt Mysterium.

Dabei ist die Sache schon ziemlich kompliziert. Man spricht gerne vom Basic-Channel-Sound, obwohl Ernestus und von Oswald längst neue Plattformen für ihre Veröffentlichungen eingerichtet haben. Chain Reaction, M, Burial Mix, Rhythm & Sound und Main Street. Wer nun genau wo veröffentlicht, das wissen nur BSologen aus dem Inner Circle. Namen, was sind schon Namen.

Auch auf der neuen CD der verschworenen Gemeinschaft kann man deshalb mal wieder Detektiv spielen. Die einzigen Spuren, die sich auf Anhieb sichern lassen, sind allerdings die Bezeichnung Main Street Records und die Namen der Sänger Tikiman und Andy Caine. Mehr nicht. Dass Ernestus und von Oswald hier persönlich die Produzentenfinger im Spiel haben, das muss man dann einfach wissen.

Tikiman, das ist doch der mit der unglaublichen Stimme, der jedem dubigen Techno-Track diesen tollen Jamaica-Touch verleiht? Genau. Es gibt bereits eine CD aus dem letzten Jahr, die „Round One to Round Five“ ähnelt, von Rhythm & Sound, ebenfalls Ernestus und von Oswald, und Tikiman. Sie heißt „Showcase“. Auch eine Maxi-Compilation. Das machen die bei Basic Channel gerne so: Erst werden die Vinyl-Junkies bedient, die Spezial-Plattenladen-Aufsucher, und erst Jahre später der gemeine WOM-Kunde. Eine Veröffentlichungsstrategie, von der alle etwas haben. Die einen gewinnen an Distinktionsfähigkeit, die anderen sparen Geld.

Round One, erste Runde: House. Von 1994. Deep bis zum Anschlag. Eine grenzenlos euphorische Musik. So richtig klassisch, etwas für Hüftschwinger. Und erst der Gesang von Andy Caine. „I‘m your Brother“ singt er im ersten Track und man sieht sie förmlich vor sich, die schwitzenden Leiber, die sich im Club dieses Angebot gegenseitig zurufen.

Macht man den Versuch und beamt sich daraufhin direkt in Round Four, ein Sprung von 1994 nach 1998, hat sich das Bild total gewandelt. Schallmauern, von überall kommen sie her und zerschellen irgendwo ganz tief in der Magengrube. Tonnenschwer wiegt dieser Dub, der sich kaum von der Stelle bewegt und nur auf total minimale Soundmuster-Mutationen programmiert ist. Und da ist sie wieder, die Stimme von Tikiman. Sie wälzt die Tracks nicht platt, ist eigentlich nur selten zu hören und dennoch total präsent und hat eine Magie, der man sich nicht entziehen kann. Kiffermusik für Cyborgs ist das, Dub-Techno sozusagen, der seit einiger Zeit unter dem eingetragenen Markenzeichen „Urban Dub“ firmiert.

Es wird immer zäher. Die letzte Runde im Ring, Round Five: Die Echokammern scheinen noch tiefer unter der Erdoberfläche zu liegen. Was glasklar in der ersten Runde begonnen hat, verwandelt sich im Laufe der ewig langen CD zu einer fast schon psychedelischen Totalreduktion auf Hall, mystischen Groove und Gesangsfetzen. „Round One to Round Five“ ist eine Reise, ein Trip, eine Entwicklungs-CD. So verstörend und gleichzeitig wunderschön kann Techno sein.

„Round One to Round Five 1993-99“ (Main Street/EFA)