Kulturkrampf, last round

■ Ex-FAZler Reißmüller singt DDR-Kampflieder – warum?

Das Büro des ehemaligen FAZ-Herausgebers Johann Georg Reißmüller zierte ein imposantes Stalin-Porträt. Bevor er den Ruhestand antrat, brachte er seinen Untergebenen auch mal einen Strauß feurige Weisen des Klassenfeindes dar. So konnte es nur eine Frage der neusten blöden Zeit sein, bis ausgerechnet Zweitausendeins eine CD des Titels Uns gefällt diese Welt – Lieder der frühen DDR pressen ließ, am Mikrophon Reißmüller, klavierbegleitet von Heribert Klein.

„Denn die Welt drehte sich noch nie zurück“, lautet die letzte klingende Zeile des schaurig wunderlichen Produkts. Was, fragt man sich beklommen bis bald selbst bekloppt, geht da vor? Ist's der schiere Ausdruck des hässlichen Triumphes derer, die immer schon wussten, dass die Esel jenseits des deutsch-deutschen Gartenzaunes nicht alle an der Waffel haben? Eine affige Vorführung für PDS-Greise und starrsinnige Menschheitsbeglücker? Oder lediglich Teil des ohnehin nahezu ubiquitären Unfugs kulturindustrieller Umtriebigkeit? Oder ein, gemessen am florierenden realsozialistischen Devotionalienhandel, reichlich verzichtbares Dokument?

Das gelungene Kampflied „kann helfen, die Bewegung weiterzutreiben, sie zu vertiefen und sie zu organisieren“, zitiert Heribert Kleins Beitext den allzuoft zum Kitsch tendierenden Bertolt Brecht, der den hymnisch-agitatorischen Marsch dem windelweichen Schlager und dem Walzer vorzog. Man höre erneut Hans Eislers Vertonung des Erich-Weinert-Evergreens „Der rote Wedding“ und verliere die Fassung: Nie ward das Wort „Bourgeoisie“ pikanter artikuliert als bei Reißmüller, der Friedrich Engels Pudding zwischen den Zähnen geparkt hatte, um allerdings um so engagierter „Links, links, links, links!“ zu trillern.

Es hat was staunend Machendes; was eminent Freches und Schamloses. Mag sein, die „sozialistische Liedtradition“ kannte neben eingängigen Rhythmen und der suggestiven Kraft des Gassenhauers komplexe Modulationen, Harmonien und Melodieführungen; mag sein, ab den fünfziger Jahren führte das Bemühen der SED um vokalische Stärkung des Patriotismus vollends auf debile Kinderlyrik; und mag zutreffen, etwa Erwin Burkerts „Aufbauwalzer“ unterstreiche nur „das Auseinanderklaffen zwischen ideologischem Wunsch und gesellschaftlicher Wirklichkeit“. Dann indes möcht' schwerlich einleuchten, wieso das Sturmgeschütz der deutschen Bundeswehr- und Unternehmerbande das verteufelte Mauer-Verherrlichungschanson „Die 13“ über die harschen Lippen gleiten ließ, den schmelzzarten Refrain z. B.: „Dem einen bringt die 13 Pech, / dem andern bringt sie Glück. / Doch was man mal verloren hat, / bekommt man nicht zurück.“

Going Ernst Busch für Arme - und trotz des beeindruckenden Stimmumfangs einer zirka halben Oktave -, lehnt der „Soldat der unsichtbaren Front“ (M. Wolf) Reißmüller am Piano, wirft sehnsuchtsvolle Blicke auf den Klavieristen, schmachtet „Das Lied von der Partei“, sinniert über das Los westdeutscher Kommunisten, beklagt, nein: bestöhnt, in den Höhen vielfach dünn, wackelig, quarkig, die Tatsache: „Ohne Kapitalisten geht es besser“ und hochnäselt zugunsten, und man traut endgültig weder Ohr noch Auge, der Aktion „FAZ-Leser helfen“ – sinn- und reinerlösend ad „Ärztehilfe für die Dritte Welt und für ein Obdachlosenheim in Frankfurt“.

Angesichts dieser spätmodern-vulgärkapitalistischen Verwuselung von Karitas, Karikatur, Subkellerkultur und „Weltenwahn“ (Wagner) muß doch sehr entschieden ein neuer Kalter Krieg her; damit die dummen Gedanken nicht länger auf dumme Ideen kommen. Oder wir schütteln die Köpfe. Nicht Mauern, Schuppen sollen fallen. Jürgen Roth