Im Bett mit Christmas

In „007 – Die Welt ist nicht genug“ verabschiedet sich Bond vom Mythos der Unfehlbarkeit. Die Schulter schmerzt und auch das Herz. Überhaupt haben die Frauen an seiner Seite mehr Charakter als je zuvor  ■   Von Harald Fricke

Sein Charme ist ölig und proletenhaft. Findet der Spiegel. Und warum? Weil Pierce Brosnan die Uhr nicht ablegt, wenn er mit Sophie Marceau ins Bett steigt. So etwas gehört sich nicht für einen 007. Findet der Spiegel. Und mag sich deshalb gar nicht anfreunden mit dem 19. James-Bond-Film, der als „seelenloses Spektakel“ abgehakt wird. Wie gut, dass sich Omega nicht daran stört, was der Spiegel in seiner aktuellen Ausgabe über „Die Welt ist nicht genug“ schreibt. Fünf Seiten weiter wirbt die Schweizer Uhrenfirma für ihr neues „Seamaster Professional“-Modell: „James Bond's Wahl“ hat ein automatisches Chronometer, ist wasserdicht bis 300 m und kostet 2.650 Mark. Das ist nicht billig, sondern preisgünstig.

Die Markenuhr trug Brosnan bereits in seiner ersten Rolle als Bond 1995 in „Golden Eye“. Seitdem wurde das Merchandizing-Konzept rund um den Superspion zu einem eigenen kleinen Subplot ausgebaut: Der Agent fährt nicht mehr nur Aston Martin, sondern immer öfter BMW, trägt Brioni-Anzüge, schlittert mit Samsonite-Koffern Häuserwände entlang, schreibt mit Parker-Füllfederhaltern, trinkt Smirnoff-Wodka. Wenn er Erdnüsse isst, dann von Ültje; wenn er einkaufen geht, dann bei Kaiser's. Offenbar gehört das Product Placement zum Filmgeschäft der Global Player, so wie Dogma zum dänischen Kino. Willkommen in WTO-Land.

Zugleich ist der neue Bond britischer than ever. Nachdem 007 immer mehr zu einer knarrenrasselnden Kampfmaschine à la FBI und CIA mutiert war, die für „Moonraker“ Space Shuttles retten musste und sich in „Lizenz zum Töten“ mit südamerikanischen Kokainbossen herumbalgte, verbeugt sich „Die Welt ist nicht genug“ am Ende des Millenniums noch einmal tief vor dem Empire. London ist wieder der geopolitische Nabel der Welt, das erste Opfer kommt aus Schottland, der Geheimdienst operiert von einem Landschloss in den Highlands aus, und selbst der Millennium Dome macht sich hervorragend als Kulisse einer Verfolgungsjagd auf der Themse. Mit viel Vergnügen werden dabei diverse Yuppie-Lokale in den Docklands zu Bruch gefahren.

Zum Einstieg allerdings geht es nach Bilbao, wo Frank O. Gehrys Guggenheim-Museum und Jeff Koons Blumenskulptur „Puppy“ sehr dekorativ in Szene gesetzt werden. Das muss als Verweis auf die internationale Popkultur made in USA reichen. Schließlich geht es in „Die Welt ist nicht genug“ um britische Millionen, aserbaidschanisches Öl, Ostblockterroristen und die Zerstörung von Istanbul. Es sind lokale Störungen an der Peripherie, die das Chaos auf den Weltmärkten einleiten sollen. Dass dort aber auch überall freischerlernde Russen ihr Mafiageschäft betreiben, zeugt vom Zusammenbruch der Sowjetunion. Offenbar hat man sich nach Bonds Islamflops in Zeiten von Glasnost wieder gut mit den Feindbildern von einst anfreunden können: Der dicke Russe Valentin Zukovsky (Robbie Coltrane) mag jedenfalls hübsche Frauen, dealt mit Kaviar und stirbt recht freiherzig, damit Bond leben kann.

Anders als in früheren Bondfilmen ist die gewohnt reisefreudige Handlung mitsamt den hübschen Hightech-Waffenspielereien um eine komplexe psychologische Story erweitert worden, die das ewig bunte „Fly & Travel“-Programm sogar weithin dominiert. Es geht um das so genannte „Stockholm“-Syndrom: Als der Milliardär Robert King das Lösegeld für seine verschleppte Tochter Elektra nicht zahlen will, verliebt sich die traumatisierte junge Frau in ihren Entführer Renard (Robert Carlyle).

Gemeinsam beschließen die beiden, das Ölimperium des Vaters in ihre Gewalt zu bringen. Nebenbei wird noch Rache am Londoner MI 6 genommen, der wegen seiner Hinhaltetaktik das Leben von Elektra aufs Spiel gesetzt hat. Also sprengt man den Alten in die Luft, sprengt auch diverse Pipelines und Plutoniumlager und bleibt damit im Regelwerk der Bomben und Special Effects, die man von einem ordentlichen Bondfilm auch erwartet. In ruhigeren Momenten geht es zum Extrem-Skifahren in den Bergen, beim Showdown wird nochmal ein Atom-U-Boot versenkt.

Nur die Sache mit der Liebe hat einen Haken. Renard wird von einem britischen Geheimagenten schwer verletzt, eine Kugel frisst sich unaufhaltsam durch seinen Schädel und macht ihn langsam wahnsinnig, aber auch schmerzunempfindlich. Das hilft zwar, um mit glühenden Steinen Boccia zu spielen, dafür hat die Fühllosigkeit des Terroristen im Bett mit Elektra einige Nachteile. Dass sich die Frau in Bond verliebt, liegt zwar 007-entwicklungsgeschichtlich nahe, ist hier aber ungleich vertrackter konnotiert als in der sonst üblichen weiblichen Begeisterung für Brusthaare. Der Hass von Elektra auf die Deformation des Geliebten wird zum Motor ihres Bondbegehrens. Rache ersetzt Liebe, Depression kippt in Allmachtsfantasien um. Die dazugehörige Hintergrundstory um Kolonialismus und Identität – Elektra ist das Produkt einer Nutzheirat zwischen einem Briten und einer aserbaidschanischen Ölprinzessin – macht „Die Welt ist nicht genug“ irgendwann zum pocahontaskompatiblen Theweleit-Stoff: Als wäre im sexuell entfesselten Bond-Age immer schon die dunkle Seite der Bondage angelegt. Deshalb muss Brosnan auch weitaus häufiger seinen Körper hinhalten als seine Vorgänger. Ständig bohrt ihm jemand am Schlüsselbein herum, dass er sich schon zu Beginn beim Sturz auf den Millennium Dome angeknackst hat. In der Wiederholung wird der Schmerz mal zum Runninggag und mal zum Leitmotiv. Vor allem aber wird dadurch die neue Verletzbarkeit von Bond glaubwürdig.

Auf dem Höhepunkt des Dramas darf Marceau den inzwischen einigermaßen abgekämpften Brosnan mit einer türkischen Genickschraube foltern. Während sie ihn langsam erwürgt, reitet Elektra auf seinem Schoß und Brosnans Kopf schwillt merklich an. Wer möchte, kann sich mit dieser Art S/M-Erotik identifizieren, der Rest staunt über den Einfallsreichtum von Abhängigkeitsverhältnissen. Oder über die Macht der Frauen. Immerhin sieht selbst Denise Richards, die schon bei Paul Verhoeven als Space-Kadettin in „Starship Trooper“ durch ferne Galaxien cruisen durfte, als Begleitschönheit an der Seite von 007 exakt wie Lara Croft aus und schlägt auch entsprechend zu. Umgekehrt wird sie trotz ihres Pin-up-artigen Äußeren nicht wie die üblichen Models kurz mal durch die Betten von Bond gescheucht, sondern darf bis zum Schluss Bomben entschärfen und Lüstern klemmen. Bloß ihr Name klingt für eine Nuklearphysikerin sehr nach B-Movie: Dr. Christmas Jones. Einerseits. Vielleicht wird daraus aber auch eine Trash-Ikone wie zuvor nur Pussy Galore.

Aus dieser Gemengelage zwischen britischem Pub-Humor der alten Schule und den Gender-Komplikationen von heute zieht Regisseur Michael Apted sehr viel mehr Energie als aus all den anderen ollen Bond-Mythen. Auf die Frage, warum ausgerechnet er als ehemaliger Dokumentarfilmer und Spezialist für Melodramen wie „Nell“ jetzt in Sachen 007 engagiert wurde, hat Apted geantwortet: „Weil der Film zwei starke Frauenrollen hat“. Tatsächlich gerät der Spion manchmal zur Nebensache angesichts der emotionalen Last, die Sophie Marceau als Hauptdarstellerin mit sich herumzuschleppen hat. Und auch Carlyle, der gepeinigte Peiniger, darf in seltsam entrückten Monologen über seine hinfällige Existenz grübeln. Das ist gothic, das ist romantisch wie Geschichten von Mary Shelley – britisch eben.

Aber ist das noch unser Bond? Die Zahlen zumindest sprechen für Brosnan: Seit der ehemalige Mister Beach Contest und „schönste Mann in Badehose“ die Rolle übernommen hat, sind die Einspielergebnisse in den USA und Kanada um 600 Prozent gegenüber Sean Connery, Roger Moore oder Timothy Dalton gestiegen – auf 125 Millionen Dollar bei „Der Morgen stirbt nie“. Offenbar war der finanzielle Misserfolg von „Lizenz zum Töten“ mit Dalton als grimmigem Raubein notwendig für die Modernisierung des Geheimagenten. Nun flitzt bei Brosnan noch im abgeschmacktesten Flachwitz ein spöttisches Lächeln übers Gesicht, als hätte sich die Figur vom Mythos der Unfehlbarkeit verabschiedet. Und es funktioniert. Nach dem Liebemachen mit Frau Dr. Jones strahlt Bond sie einigermaßen verschwitzt an und sagt: „Ich dachte, dass 'Weihnachten‘ nur einmal im Jahr kommt“. Die kleine Ferkelei könnte von Bruce Feirstein stammen, der mit Neil Purvis und Robert Wade am Drehbuch gearbeitet hat. Bevor er zum Bond-Team kam, war er für Werbekampagnen von BMW zuständig. Jetzt lässt er nietennagelneue BMWs mit der Kreissäge zerlegen. Soviel Ironie muss sein. „007 – Die Welt ist nicht genug“. Regie: Michael Apted. Mit Pierce Brosnan, Sophie Marceau, Robert Carlyle, Denise Richards. GB 1999. 125 Min.