Indonesiens Militärs sollen straffrei ausgehen

■ Für Morde, Vergewaltigungen und Zerstörungen in Osttimor, Aceh und anderswo müssen sich nur niedere Ränge verantworten. Dennoch besteht die Gefahr eines Militärputsches

Bangkok (taz) – Wer wird für die Morde, Vergewaltigungen und Zerstörungen indonesischer Truppen in Osttimor und anderen Teilen des Landes büßen? Die Antwort scheint inzwischen klar: Für die Verbrechen, denen allein in der Provinz Aceh in den letzten zehn Jahren etwa 5.000 Menschen zum Opfer fielen, will Jakarta nur die Kleinen hängen, aber die Großen laufen lassen.

Die Regierung werde sich mit allen Kräften im Ausland dafür einsetzen, dass es nicht zu einem UNO-Menschenrechtsprozess kommt, erklärte Außenminister Alwi Shahib gestern in der Jakarta Post. „Wir werden versuchen, die Generäle nicht an ein internationales Tribunal auszuliefern“. Die Armeespitze dürfe nicht Gefahr laufen, nicht mehr ins Ausland reisen zu können oder, „wie Pinochet verhaftet zu werden“, warnte der Minister in Anspielung auf den chilenischen Ex-Diktator, der in England festgehalten wird.

Ins gleiche Horn stieß Verteidungsminister Juwono Sudarsono, der diesen Posten im Oktober als erster Zivilist in der Geschichte Indonesiens übernommen hat: „Wir sind bereit einzusehen, dass es Machtmissbrauch gegeben hat“, erklärte er, „aber man kann die höheren Ränge nicht antasten. Vor allem kann man die Rechtmäßigkeit ihres Handelns nicht in Frage stellen“. Der im Oktober gewählte Regierungschef Abdurrahman Wahid hat bereits angekündigt, dass er seine Vorgänger Suharto und B. J. Habibie amnestieren würde.

Die Acehnesen, die immer lauter die Unabhängigkeit von Jakarta fordern, sollen sich nun mit symbolischer Gerechtigkeit zufrieden geben: Der Minister kündigte an, die Regierung werde in fünf Fällen einen Prozess wegen Menschenrechtsverletzungen in Aceh führen lassen. Die Verfahren sollen vor einem extra einberufenen Gericht mit sowohl militärischen als auch zivilen Richtern laufen und in den nächsten Tagen beginnen. Angeklagt werden mittlere und untere Ränge im Militär. Eine von der Regierung beauftragte Untersuchungskommission hat erst vor wenigen Tagen dem Parlament seinen Bericht vorgelegt, in dem sie 4.000 Fälle von Menschenrechtsverletzungen in Aceh dokumentiert.

All das zeigt, wie dünn die zivile Schicht ist, die über der Macht des Militärs liegt. Der 57-jährige Verteidigungsminister Juwono, der an der renommierten London School of Economics promovierte und unter Habibie Bildungsminister war, hat mehrfach Alarm geschlagen und die Gefahr benannt, vor der Indonesien derzeit steht: Er warnte vor dem Beispiel Pakistan, wo die Armee kürzlich geputscht hat.

Nicht nur in Aceh, sondern auch in vielen anderen Regionen wächst der Widerstand gegen Jakarta. Die Regierung ist mit sich selbst beschäftigt. Der Präsident verwirrt mit widersprüchlichen Ankündigungen, seine Stellvertreterin Megawati Sukarnoputri verkriecht sich in ihrem Palast. Obwohl sie von Wahid beauftragt wurde, sich um die unruhigen Provinzen wie die Molukken zu kümmern, wo sich Christen und Muslime abschlachten, geschieht nichts. Dabei gilt Megawati als einzige Politikerin aus Jakarta, die sowohl von Christen als auch Muslimen respektiert wird.

Noch sieht das Militär zu. Seine Macht hat es in den vergangenen Jahrzehnten stets damit gerechtfertigt, die Zivilisten seien nicht in der Lage, das Land zusammenzuhalten. Unter Suharto betrachteten die Generäle Provinzen als ihre privaten Fürstentümer. Mit den Erlösen aus ihren Geschäften unterhielten sie auch ihre Truppen. Der Staatshaushalt war ganz auf dieses System eingerichtet: Allein mit den Geldern aus Jakarta hätten die Generäle ihre Soldaten weder ernähren noch ausrüsten können. Juwono forderte deshalb eine Erhöhung des Militärbudgets um über 60 Prozent. Inzwischen hat er ganz pragmatisch angekündigt, er wolle die Korruption innerhalb des Militärs in den nächsten Jahren „auf die Hälfte“ verringern.

Jutta Lietsch