Vietnam steht wieder im Regen

Zweites Hochwasser innerhalb eines Monats: Mehr als 100 Tote, rund tausend Menschen von der Außenwelt abgeschnitten. Reispreis um 40 Prozent gestiegen  ■   Von Marina Mai

Berlin (taz) – Zum zweiten Mal innerhalb von vier Wochen wird Zentralvietnam von einer Hochwasserkatastrophe heimgesucht. Nach Angaben vietnamesischer Behörden sind mehr als 100 Menschen ums Leben gekommen. Das Schicksal von gut 1.000 in ihren Dörfern von der Außenwelt abgeschlossenen Menschen ist ungewiss. Mehr als eine Million Menschen werden die nächsten Monate – wenn nicht länger – auf ausländische Hilfe angewiesen sein.

Bereits Anfang November hatte ein Hochwasser in den betroffenen Provinzen Quang Ngai und Da Nang sowie fünf weiteren Provinzen 640 Todesopfer gekostet. Mehr als 100.000 Menschen hatten ihre Häuser verloren und waren trotz internationaler Hilfe akut vom Hungertod bedroht. Sämtliche Straßen, Brücken und Eisenbahnlinien in der Region wurden von den Wassermassen zerstört – 250 Millionen Dollar Sachschaden, allein an Verkehrswegen. In den vergangenen Wochen hatte man bereits wieder mit den notdürftigsten Reparaturen begonnen.

Nur schwer meßbar ist der Sachschaden an privaten Wohnhäusern, weil in den betroffenen Provinzen die meisten Menschen in einfachen Strohhütten wohnen, die sie selbst gebaut haben. Den Hafen von Da Nang, eine vollständige Reisernte sowie rund 2.000 Hektar Land hatte das Meer verschlungen. In der Folge war der Reispreis im gesamten Land um 40 Prozent gestiegen.

Internationale Experten haben der Hanoier Regierung ein gutes Krisenmanagement bescheinigt: Die Behörden hatten rechtzeitig großflächig desinfiziert und die Menschen kostenlos geimpft, so dass sich bislang keine Seuchen ausbreiten konnten. Die internationalen Hilfsgüter wie Nahrungsmittel, Zelte und Moskitonetze seien für vietnamesische Verhältnisse recht unbürokratisch verteilt worden, berichten Augenzeugen.

Die Wasserfluten waren durch extrem starke Niederschläge verursacht worden, die für die Jahreszeit eigentlich untypisch sind: Im Laufe der ersten Novemberhälfte beginnt in Vietnam normalerweise die kurze Trockenzeit. Statt der erhofften trockenen Gebirgswinde mit dem für die Jahreszeit typischen Temperatursturz von 25 auf 18 Grad brachte der Wind vom Meer her Niederschläge von bis zu 800 Litern pro Quadratmeter am Tag. Zum Vergleich: Im Großraum Berlin regnet es 500 bis 600 Liter im ganzen Jahr.

Die Provinzbehörden haben den Bauern, deren Felder vom Meer verschlungen oder mittelfristig ökologisch verseucht worden sind, Ersatzflächen versprochen. Doch landwirtschaftlich nutzbare Flächen sind in Mittelvietnam knapp: Teils wegen der ökologischen Spätfolgen des amerikanischen „Entlaubungskrieges“, teils weil das Gebiet extrem dicht besiedelt ist.

Die Unwetter treffen das vietnamesische Armenhaus in einer schwierigen wirtschaftlichen Phase: Nach mehreren Jahren eines regelrechten Wirtschaftsbooms mit jährlichen Wachstumsraten zwischen 7 und 11 Prozent verzeichnete Vietnam im vergangenen Jahr nur noch ein Wirtschaftswachstum von 4 Prozent. Das ist die geringste Rate, seit 1986 „doi moi“, die vietnamesische Variante der Perestroika eingeleitet wurde. In diesem Jahr wird das Wirtschaftswachstum voraussichtlich noch niedriger ausfallen: Die Vernichtung einer Reisernte in Mittelvietnam und der Ausfall der Einnahmen aus dem Tourismus in und um die alte Kaiserstadt Hue, die im Katastrophengebiet liegt, schlagen sich nieder.

Vietnam hatte in den 90er Jahren am wirtschaftlichen Aufschwung der südostasiatischen Tigerstaaten teilgenommen, die nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Wirtschaftsblocks seine wichtigsten Handelspartner und Investoren wurden. Mit einiger Verspätung wird Vietnam jetzt von der Asienkrise heimgesucht.