Leider ist der Druck nötig“

■  Entschädigung für NS-Zwangsarbeiter: Der Sozialdemokrat Hans-Jochen Vogel hat die Hoffnung auf Einigung noch nicht aufgegeben. Mit Otto Graf Lambsdorff sei es leichter als mit Bodo Hombach

taz: Herr Dr. Vogel, wie beurteilen Sie die von Bundeskanzler Schröder in einem Brief an Präsident Clinton vertretene Auffassung, mit dem Angebot von insgesamt 8 Milliarden Mark zur Entschädigung der Zwangsarbeiter sei die Obergrenze erreicht?

Hans-Jochen Vogel: Ich kenne den Wortlaut des Schreibens nicht. Bei dem gegenwärtigen Stand der Verhandlungen kommt es aber auf jede Nuance an. Normalerweise gibt es bei Schreiben dieser Art noch telefonische Erläuterungen auf der Arbeitsebene.

Mit welcher Perspektive müsste jetzt verhandelt werden?

Es gibt sehr gute Gründe dafür, die Verhandlungen dieses Jahr abzuschließen. Und es scheint mir Erfolg versprechend, wenn die deutsche Seite auf einen Kompromiss zusteuert, der bei rund 10 Milliarden Mark liegen könnte. Zehn Milliarden bedeuten eine materielle Geste, derer man sich nicht zu schämen bräuchte. Ich betone die Dringlichkeit einer Einigung. Jeder Tag ist wichtig angesichts des hohen Alters der Zwangsarbeiter.

Von den Bandbreiten, den 6 bis 10 Milliarden Mark auf der deutschen und 10 bis 15 Milliarden Mark auf der Seite der Opfer-Anwälte, ist keine Rede mehr.

Ich gebe die Hoffnung noch nicht auf, dass darüber das letzte Wort nicht gesprochen ist. Scheiterten die Verhandlungen, so wäre auch für die deutsche Seite ein schwerer Schaden entstanden. Das gilt für die mitmenschliche Solidarität. Aber auch die, die nur ökonomisch denken, müssen dann einen hohen Schaden gewärtigen.

Wie beurteilen Sie die Veröffentlichung von Firmennamen, wie dies gerade seitens des American Jewish Committee erfolgte? Kann Druck ausgeübt werden?

Leider ist dieser Druck nötig. Unser Verein „Gegen das Vergessen“ hat selbst eine Liste von 20 Firmen veröffentlicht. Dies mit dem Ergebnis, dass einige Firmen sich der Stiftungsinitiative angeschlossen haben und andere mitteilten, sie hätten das soeben getan. Für mich ist es schwer verständlich, ja beschämend, dass sich hunderte von Firmen, die Zwangsarbeiter beschäftigt haben, immer noch gleichgültig, immer noch völlig abstinent verhalten.

Viele Firmen befürchten, im Rahmen einer „class action“ in den USA verklagt zu werden, wenn sie der Initiative beiträten und damit zugäben, Zwangsarbeiter eingesetzt zu haben.

Dieses Argument ist nicht stichhaltig. Solche Firmen können verklagt werden unabhängig davon, ob sie der Stiftungsinitiative beigetreten sind oder nicht.

Haben Sie sich selbst für den Beitritt zur Stiftungsinitiative eingesetzt?

Ich habe schon frühzeitig mit dem Vorstand von Siemens gesprochen. Zunächst reagierte man dort ablehnend. Man habe bereits früher für jüdische Zwangsabeiter 7,2 Millionen Mark gezahlt, befürchte auch keine Repressalien in den USA. Ein dreiviertel Jahr später kam man zur Einsicht, was zu seiner Ehre gesagt sei.

Wie haben Sie argumentiert?

Ich verwies auf das 150-jährige Firmenjubiläum und sagte, mit einer großzügigen Geste zu diesem Datum könne für die Firma viel gewonnen werden. Aber das machte damals keinen Eindruck. Sie glaubten, mit der früheren Zahlung durchzukommen und verwiesen auf ihre Bilanzen.

Gelingt es Ihnen eigentlich, Ihre eigene Partei in der Entschädigungsfrage für Zwangsarbeiter positiv zu beeinflussen?

Ich stehe in Kontakt mit dem Verantwortlichen in der Fraktion, auch mit dem Kanzler. Wir haben, hoffe ich, etwas dazu beigetragen, dass sich die Prioritäten verschoben haben: vom Schutz der deutschen Interessen zur Wahrnehmung der Interessen der Opfer. Was übrigens mit dem Grafen Lambsdorff leichter ging als mit seinem Vorgänger Bodo Hombach.

Sie stimmen also zu, dass von deutscher Seite zu sehr auf die Fragen der „Rechtssicherheit“ abgestellt wurde?

Zunächst ja, das hat sich dann geändert. Es gab auch missverständliche Äußerungen. Aber jetzt hat der Bundeskanzler der Resolution des Parteitags zu den Zwangsarbeitern zugestimmt und damit seine Haltung klargemacht. Jetzt stehen die Menschen im Vordergrund.

Sie haben diese Resolution eingebracht?

Sie ist nicht ohne meine Mitwirkung zu Stande gekommen.

Welchen Kontakt haben Sie zu den Zwangsarbeitern bzw. deren Vertretern?

Unser Verein „Gegen das Vergessen“ hat eine Broschüre mit zwölf Biografien ehemaliger ZwangsarbeiterInnen herausgegeben, die ihr schweres Leben dokumentiert. Schließlich wurden die sowjetischen Zwangsarbeiter nach ihrer Rückkehr ein zweites Mal durch die sowjetischen Behörden verfolgt. Manche Wirkungen beider Verfolgungen erstrecken sich bis in die Gegenwart. Wir haben auch Kontakt zu einer Reihe amerikanischer Anwälte – zu den seriösen. Wir differenzieren da.

Wie stehen Sie zur Kritik an den amerikanischen Anwälten, sie riskierten mit unrealistischen Forderungen das Scheitern der Verhandlungen?

Diese Kritik würde ich nicht generalisieren, denn die amerikanischen Anwälte bilden kein einheitliches Lager. Ich rate jetzt den Anwälten dringend, auf den Kompromiss von 10 Milliarden Mark einzugehen. Auch die Anwälte müssen sehen, dass sich ein Scheitern der Verhandlungen katastrophal für alle Zwangsarbeiter auswirken würde, die bei Firmen arbeiteten, die sich nicht der Stiftungsinitiative angeschlossen haben.

Interview: Christian Semler