■ Kommentar
: Schäuble in der Falle  Die CDU wird Helmut Kohl behalten – müssen

Wolfgang Schäuble kommt nicht vom Fleck, ja der CDU-Vorsitzende sitzt in der Falle. Er müsste Helmut Kohl vom Thron holen. Er müsste die Partei von ihrem Übervater befreien. Er müsste das Denkmal stürzen. Er müsste so vieles. Er kann aber nicht.

Schäuble kann es nicht, weil er selbst ein Geschöpf der Kohl-Ära ist. Er kann es vor allem nicht, weil er weiß, dass sich die Partei von ihrem Übervater nicht befreien kann. Wie sollte das gehen? Worin sollte die Befreiung bestehen? Verbannung des Altkanzlers nach Sibirien? Oder lieber ein schönes Häuschen in Florida?

Kohl ist lebende Geschichte. Er hat aus der CDU vor zwanzig Jahren eine halbwegs moderne Partei gemacht und in den Jahren danach zu einem autoritätshörigen Kanzlerwahlverein, er hat den Deutschen die Vereinigung gebracht, er hat Europa geeint. So einen wie Kohl wird man nicht los. Schäuble kann ihn in die Schranken weisen. Er kann ihn öffentlich unter Druck setzen, obwohl er das gestern nach der Sondersitzung von Präsidium und Vorstand tunlichst unterlassen hat. Er kann die Partei vielleicht dazu bringen, sich von ihrer Ergebenheit zu lösen. Aber die CDU kann Helmut Kohl nicht einfach hinter sich lassen. Sie wird ihn behalten – müssen.

Viele einfache Mitglieder und Anhänger der Partei sehen in ihm nach wie vor ihr Idol. CDU und Kohl, das können die meisten von ihnen schon lange nicht mehr auseinander halten, das ist in ihren Augen eins geworden. In der Auseinandersetzung der jetzigen Parteiführung mit ihrem Ehrenvorsitzenden geht es für die Mitglieder um ihre Identität. Sie glauben Kohl gegen Schäuble zu verteidigen – dabei verteidigen sie ihr Leben (und mit ihm, ganz nebenbei, die alte Bundesrepublik). So viel Identitätskrise kennt man sonst eigentlich nur von Ostdeutschen, die glauben ihr Leben gegenüber den Westdeutschen verteidigen zu müssen. Was dabei herauskommt, kennt man allerdings auch: Nostalgie, Verklärung, Wirklichkeitsverlust.

Und dagegen, das ist eine Erfahrung, die wiederum der Westen mit dem Osten gemacht hat, ist schlecht etwas auszurichten. Da helfen keine erhobenen Zeigefinger und erst recht keine Machtworte. Schäuble weiß das. Also schweigt er dazu. Er ringt lieber tapfer und beharrlich mit dem schwarzen Riesen. Aber er kann ihn nicht besiegen. Jens König