Sommernachts-Sentimentalisten

■ Bossa und Bohème: „Veranda Music“ und „Vermooste Vløten“ im Knust

Sonnentage im Winter muss man nutzen. Und zwar so intensiv wie möglich. Da reicht es nicht, mal schnell in den Park zu rennen und mit einem melancholischen Schmunzeln auf dem Gesicht gedankenverloren ein paar Eichhörnchen anzulächeln. Ein Soundtrack für jene Sonntagnachmittage muss her, an dem man seinen sentimentalen Neigungen freien Lauf lassen will, Bäumeklettern, über nasses Laub laufen und danach Kekse zu heißer Milch essen. Nick Drake? Tom Waits? Velvet Underground? Schon tausendmal gehört.

Die Vermoosten Vløten bieten Abhilfe, wenn auch mit eher zarter Stimme. Mit Ngongo haben die beiden Sommernachts-Sentimentalisten im Herbst das Album veröffentlicht, das den Nachbarn aus der Berliner Wohnzimmerszene bislang irgendwie nicht gelungen ist. Weiblicher Gesang mit wackeliger Akustikgitarren-Untermalung und gelegentliches Spiel mit kurioser Elektronik heißt hier die Zauberformel. Wo die Quarks dem Kitsch in die Hände spielen, halten sich die Vløten lieber in dunkleren Gemäuern auf. „I broke my heart in the sink, and now I pay for the titpress and the force band too“, flüstern Hannie Blum und Libojah Shnukki auch gerne einmal zweistimming in charmantem Siebtklässler-Englisch. Das Sentimentalistenherz frohlockt und schluchzt.

Auch für die Hamburger Veranda Music bedeutet das Wort „Low-Fi“ eher die Eröffnung neuer musikalischer Landschaften als ein abgrenzendes Versagen von Möglichkeiten. Wo ihre Welt in Hoffnung entflammt oder in Melancholie verglimmt, ist nicht mehr auszumachen. Inspiratoren and Antreiber ihrer magischen Dynamik auf dünns-ter Sound-Ebene sind nicht nur solch offensichtliche Vorbilder wie Waits und Beatles, sondern auch T.S. Eliot, dessen Waste Land die poetische Basis für „Death by Water“ liefert. Ebenso auf der Referenzenliste: Folk, Country, Bossa und Bohème. Veranda Musics jüngstes Werk, Night in Jaçanã, ist Ergebnis einer tiefen Bewunderung für die brasilianischen Komponisten Adoniran Barbosa und Tom Zé.

Das gemeinsame Konzert der beiden Bands wird von NDR 4 mitgeschnitten und in der Sendung Hörproben ausgestrahlt. Kann man dann aufnehmen und beim nächsten Parkspaziergang im Walkman laufen lassen. Dass unter dem nassen Laub auch Leichen liegen können, versteht sich. Philip Oltermann

heute, 21 Uhr, Knust