An Wintertagen bald total ungruselig?

■ „Urwälder“ im Bremer Nordwesten – noch sind sie an nebligen Wintertagen schön gruselig und im Sommer eine wahre Oase / Jetzt droht ihnen das vertraglich abgesicherte Kettensägenmassaker / Das Oldenburger Verwaltungsgericht prüft einen Eilantrag

Oldenburg. Das Oldenburger Verwaltungsgericht prüft zurzeit einen Eilantrag, der die Anmeldung des Neuenburger Holzes bei Varel als FFH-Gebiet verzögert. Vorausgegangen ist der vergebliche Versuch, eine Einigung zwischen Naturschutz und Wirtschaft zu erzielen. Naturschutzverbände fürchten nun den Verlust wertvoller Baumbestände.

Zur Vorgeschichte: Der Nordwesten ist landschaftlich eher unspektakulär: Weide mit verstreuten Schwarzbunten drauf, Marsch und Geest, soweit das Auge reicht. Wären da nicht einige „Urwälder“ mit Unterholz und alten Bäumen an nebligen Wintertagen schön gruselig. Im Vergleich zum Umland sieht es hier fein wild aus. Eines dieser Refugien ist das Neuenburger Holz, traditionelles Naherholungsziel für den sonntäglichen Spaziergang. Doch das könnte sich bald ändern, denn die ansässigen Klinkerziegeleien haben es schon seit Jahren auf den Lehm unter dem Wald abgesehen. Und: Laut geltenden Abbauverträgen dürfen sie einem Teil des Waldes bald den Garaus machen.

Der Bodenabbau hat im Nordwesten Tradition. Seit Jahrhunderten wird in der rohstoffarmen Region Torf, Sand und Kies abgebaut. Heute erleben die Naturmaterialien meist eine Auferstehung als Blumenerde, Zement oder Baukies. Durch den Abbau gehen neben unbedeutenden Wiesen auch ökologisch hochwertige Flächen verloren. Und selbst nach den vorgeschriebenen Renaturierungsmaßnahmen erreichen sie oft nicht mehr ihre ursprüngliche Qualität. Eben das ist bei den Teilen des Neuenburger Holzes zu befürchten, für die seit langem Abbauverträge bestehen. „Die Verträge der Bodenabbau-Unternehmen mit der Forstverwaltung sehen vor, dass die Ziegeleien bei Erreichen einer bestimmten Hiebsreife der Bäume den Lehm abtragen dürfen“, räumt Robert Exner, Sprecher des BUND ein. Formaljuristisch also eine klare Sache. Die Firmen haben die Einnahmen einkalkuliert. Viele Jobs hängen von den Aufträgen ab.

Die Bezirksregierung Weser-Ems hatte vor der Anmeldung entsprechend eine veränderte Abgrenzung des Gebiets empfohlen: „Alle Gebiete, für die es Verträge gibt, wurden daraufhin aus dem FFH-Gebiet herausgenommen“, so die Sprecherin des Umweltministeriums, Uta Kreutzenbeck.

„Die Verträge mit den Firmen sind sehr, sehr langfristig“, erklärt auch Arnold Saathoff von der Bezirksregierung. Daran ist nicht zu rütteln, der Spielraum für den Naturschutz ist deshalb begrenzt. Um zu einer Lösung für die übrigen Gebiete zu kommen, saßen kürzlich Umweltverbände, Behörden, Land- und Forstwirtschaft an einem Tisch und redeten sich die Köpfe heiß. Rund 20 Stellungnahmen wurden im Laufe der Zeit formuliert. Zu einer Einigung konnte man sich nicht durchringen.

Nur diejenigen Gebiete, für die es keine Verträge mit Unternehmen gibt, sollten jetzt gemeldet und durch die europäische Landschaftschutz-Richtlinie Flora-Fauna-Habitat (FFH) vor einer wirtschaftlichen Ausbeutung bewahrt werden. Doch auch das haben die Anwälte der Klinkerunternehmen mit dem Eilantrag jetzt erst einmal verzögert. Das Motiv liegt auf der Hand: Die Unternehmen könnten mit der endgültigen FFH-Erklärung alle Aspirationen auf weitere Lehm-Vorkommen vergessen.

Doch ihre Karten stehen schlecht. Denn bei der Auswahl der Gebiete dürfen nur naturschutzfachliche, nicht aber wirtschaftliche Aspekte eine Rolle spielen. Dafür sieht die FFH-Richtlinie feste Kriterien vor wie die europaweite Bedeutung eines Gebiets und die Sicherung von Biotopen in verschiedenen Altersstadien. Im Neuenburger Urwald treffen diese Kriterien auf die Auenwälder mit Erlen, Eschen und Weiden sowie den Eichen-Hainbuchen-Mischwald zu, beides gefährdete Waldtypen.

Da die Unternehmen dies nicht ohne Widerspruch hinnehmen konnten, war das Tauziehen zwischen dem Land, Umweltschutzverbänden und der Rohstoffindustrie programmiert: Wie viele Hektar bleiben? Wie viele werden abgebaut? Worauf verzichtet die Industrie freiwillig? Was kann überhaupt als besonders schutzwürdig gelten?

Wie der Streit nun weiter geht, wird das Verwaltungsgericht Oldenburg zu entscheiden haben. Im Umweltministerium geht man derweil davon aus, „dass das Gebiet wohl letztlich so gemeldet werden kann, wie ursprünglich geplant.“

Eva Tenzer