Die Welt der Anrichteplatten

■ Im Jungen Theater widmen sich Kirstein/Engelsmann liebevoll den Klavierstückeleien und Textchen von Erik Satie

Er trat an, um Kitsch und Pathos zu eliminieren – und hegte eine kindlich-romantische Liebe zu Andersens Märchen. Er verehrte die knappe Form, wollte aber seine „Vexations“ 840 Mal hintereinander gespielt wissen, was erst John Cage 1963 in einem 19-Stunden-Marathon verwirklichte. In seinen kleinen literarischen Kabinettstücken lästert er am zweitliebsten – gleich nach den Kritikern – über Kinder und machte für sie im wirklichen Leben Gratis-Stadtführungen. In Vorwegnahme der Postmoderne schnipselte er verschiedene musikalische Gesten und Stile ironisch-trocken-knallig aneinander – und wird heute als gefühlsschwangerer Poet der Stille allseits geliebt.

Widersprüche pflastern den Weg Erik Saties (1866-1925). Debussy verehrte ihn. Francis Picabia setzte ihm in seinen Experimentalfilmen ein Denkmal in Form von inflationärem Auftreten satieartiger Melonenhutträger. Zusammen mit Picasso, Jean Cocteau, Diaghilews Ballett Russe und/oder Choreograf Leonid Massine sorgte Satie ab 1917 für drei hartgesottene Theaterskandale inklusive albernen juristischen Nachspielen. Doch der dazugehörige Erfolg wurde ihm versagt. Ab dem Alter von 22 Jahren musste Satie sein Geld in nicht immer erstrangigen Nachtcabarets am Klavier erklimpern und trieb dabei seine Leber in den Tod, quasi berufsbedingt. Heute ist Satie als Neuerer unbestritten, entdeckte er doch mit seiner Hintergrundsmusik für Ballettabende („Musik als Möbel“) die ambient music und erfand mit seinen Wiederholungsorgien die Minimal music. Vor allem aber zermalmte er sehr früh das Bild vom Künstler als Genie. Genie wollte er nicht sein – und war es für diese Getuefeindlichkeit zuallererst.

Der Pianist Dietmar Kirstein erarbeitete sich Saties Klavierstücke von den Gymnopedies (nackte Füße) bis zu den „Tänzen eines ausgestopften Affen“. Anstelle der einschlägigen nüchternen Vor-tragsbezeichnungen wie „Crescendo“ oder „Animato“, wollte Satie dort den Pianisten mittels kleiner grotesk-poetischer Sprachbilder aufs Stück einstimmen. Kirstein beschloss, diese dadaistischen Preziosen der Stummheit zu entreißen und klopfte an bei Anke Engelsmann. Die ist TAB-Schauspielerin und war Gründungsmitglied der Shakespeare Company. Sie spricht nun die Texte in die Musik ein und gibt ein paar weitere Miniaturen mit dazu. Sie widmen sich meist ephemeren Dingen wie Anrichteplatten, Glatzköpfen oder dem Lernverhalten von Hummern und Nachtigallen. Das ist ein einziges Geringelnatze. Ein Loblied auf einen stinkigen Abwasserkanal beginnt etwa so: „Was haben wir da für ein hübsches Rinnsal ... wie schüchtern es doch ist ... ist es vielleicht ein Lächeln in der Landschaft ...“ Engelsmann spricht mit jener wunderbaren leisen Schalkigkeit, mit der Eltern ihren Kindern schaurig-schöne Märchen in den Halbschlaf einflüstern. Jaja, die Welt der Anrichteplatten gibt Anlass zum Staunen. Und Dietmar Kirstein bewegt sich in dem Zitaten-Gespinst aus schwerelosen Konsonanten und neckischen Dissonanten mit der gebotenen Ruhe und Gelassenheit. Am Ende fangen die Rotweingläser auf den Bistrotischen des Theaters an zu funkeln und zu blitzen. bk

Aufführungen: 10. und 11. Dezember, 22.30 Uhr, Jungen Theater.

Am 19. Dezember dreht sich im Übersee-Museum alles um Satie: 11  Uhr – Satie-Brunch; 20 Uhr – Konzert mit zehn Musikern des Amsterdamer Maarten Altener-Ensembles; 23 Uhr – Satie-Disco mit DJ Erik.

Außerdem möge man sich mit Satie-Charme & Melone zum Fototermin um 16 Uhr einstellen, weil dann möglichst viele Satie-Doubles abgelichtet werden sollen. Die Shakespeare Company ermöglicht imaginäre Begegnungen mit Tieren und Gertrude Stein, und unbegabte Pianisten dürfen am Bösendorfer selber Satie spielen. Im Computer-Café lässt sich alles über Satie erfahren und und – und weitere Infos beim Veranstalter dacapo unter Tel.: 50 12 50