Über Wachen und Strafen

■ „Bernarda Albas Haus“: Joachim Schlömer und das Tanztheater Basel im Hebbel-Theater

Das Stück ohne Männer, des ewigen Wartens, der bleiernen Zeit: „Bernarda Albas Haus“ von Garcia Lorca. Lorca schaut man sich nicht an, um sich zu amüsieren. Das Werk des 1936 erschossenen Dichters glich in Deutschland lange einer Gedenkübung zum Spanischen Bürgerkrieg. Hinterher war man froh, Faschismus und Katholizismus entronnen zu sein.

Dass es auch anders geht, bewies vor zwei Jahren Jo Fabian mit seiner „Frau in Schwarz – House of Lorca“ im Hebbel-Theater, der den Terror zwischen Müttern und Töchtern in eine reduzierte Choreografie gepackt hatte. Im gleichen Haus ist jetzt das Tanztheater Basel mit einer Lorca-Interpretation von Joachim Schlömer zu Gast. Auf Schlömer, der seinen Vertrag als Ballettdirektor in Basel nicht über 2001 verlängern will, richten sich in Berlin neugierige Blicke als möglichen Kandidaten für das BerlinBallett.

Die Herrschsucht seiner Bernarda Alba wächst aus dem Neid. Zwei Köpfe kleiner als ihre Töchter, gönnt sie ihnen nichts: zieht die eine an den Haaren, tunkt die andere ins Wasser als Strafe für ihren Lebenshunger. Die Töchter, ausgeschlossen von der Welt, eingeschlossen im Haus, scheuern sich an den Wänden und fummeln unter ihren Röcken. Bernarda hetzt sie aufeinander und sieht dem Selbstmord der Jüngsten zu. Freud hätte sich die Finger danach geleckt.

Dem Geist der Psychologisierung entspringt auch die schillerndste Figur, Bernardas Mutter Maria Josefa, die sich, dem Wahn des Jungseins verfallen, im Babyjäckchen unter die Töchter mischt. Sie drückt ein Lämmlein an ihren welken Busen und kreuzigt es später an der Wand. Graham Smith tanzt sie mit all der verletzbaren Schrägheit einer Seele, die im falschen Körper gefangen ist. Ein Klischee, das in der Inszenierung überzeugt:

Der letztendlich schlichten Interpretation des Dramas steht ein ehrgeiziger Kunstaufwand zu Seite. Neben den Tänzerinnen ziehen der Sopranist Arno Raunig und die Gebärdensprachensolistin Christina Schönfeld über die Bühne. Er singt von den Leiden Christi, und sie buchstabiert den Text mit ihren Händen hinter seinem Rücken.

Es ist das Schweigen in Albas Haus, das Lorcas Stück mit der Komposition von Helmut Oehring und Iris ter Schiphorst thematisch verbinden soll. Oehring, der als Kind gehörloser Eltern aufwuchs, hat die Dynamik der Zeichensprache schon oft als sinnliche Irritation in seine Stücke intergriert, um die Rezeptionsmuster von Hören und Sehen zu durchkreuzen. Das versucht er auch mit der Verlagerung der Musik hinter die Bühne. Das Scheppern, Dröhnen und Flüstern der Komposition für Klavier, Kontrabass und elektronische Instrumente füllt zwar den ganzen Zuschauerraum. Gleichzeitig aber sieht man die Musiker nur auf einem Monitor am Bühnenrand in flackernden schwarzweißen Bildern, die an den Stummfilm erinnern.

Die ästhetischen Brüche machen das Stück interessant. Die Notwendigkeit des Aufwands aber leuchtet nicht ein. Die Last des Schweigens wird nicht plastischer, im Gegenteil, die Gebärdensprache nimmt ihm das Gewicht. Die Choreographie hält diesem abstrakten Überbau nicht stand. Tanz und Gebärdensprache bleiben fast berührungslos nebeneinander. So verlieren die einzelnen Elemente an Aussagekraft, statt sich gegenseitig zu kommentieren.

Katrin Bettina Müller

Heute und morgen, jeweils 20 Uhr, Hebbel-Theater, Stresemannstr. 25