Wir waren beide Sektierer“

■  Die West-Brüder Harald und Udo Wolf sind die Spitzenmänner der Berliner PDS. Ein Gespräch über revolutionäre Ungeduld, den missionarischen Eifer des Marxismus und Ost-West-Lernprozesse

Wie kommen zwei hessische Brüder an die Spitze einer Ostpartei in Berlin?

Harald Wolf: Hessen war schon immer vorn – das ist ein alter Slogan der hessischen Sozialdemokratie, an den wir uns gehalten haben.

Sie waren in der trotzkistischen „Gruppe Internationaler Marxisten“ (GIM), in der Alternativen Liste (AL), in der PDS. Welcher Wechsel war der größere Kulturschock?

Harald Wolf: Der Wechsel von der GIM in die AL war kein Kulturschock. Das war das gleiche Nach-68er-Milieu. Man hat sich in den gleichen Kneipen rumgetrieben, die gleichen Filme geguckt und bis auf die Peking-Opern die gleiche Musik gehört.

Dann war der größere kulturelle Bruch der Wechsel zur PDS?

Udo Wolf: Nein, der kam viel früher. Als ich vor den ersten freien Volkskammerwahlen 1990 für die Grünen mit der „Grünen Partei der DDR“ und dem „Neuem Forum“ zusammengearbeitet habe: Es gab keine Infrastruktur, kein Telefon und völlig unterschiedliche politische Arbeitsweisen. Das hat dazu geführt, dass ich Judith Demba, die damals im Vorstand der Grünen Partei der DDR war, irgendwann abends ins Büro eingeschlossen habe. Ich habe gesagt: Du bleibst jetzt hier, bis wir diese Pressemitteilungen und die Wahlkampftour fertig haben.

Hat wenigstens die Kommunikation zwischen Ihnen funktioniert?

Udo Wolf: Die Verhandlungsrunden in der unmittelbaren Nachwendezeit, in denen die Protagonisten der verschiedenen Strömungen gesessen haben, waren in der Regel ziemlich unergiebig. Bis uns jemand erzählt hat, dass in der DDR alles über den Hauskreis organsiert wurde. Wenn man die Leute zu Hause an den Küchentisch einlädt, dann kann man über alles reden. Aber auf offiziellen Terminen kam man nicht voran.

Harald Wolf: Die politischen Debatten wurden anders geführt. Bei den Westlinken wurden in den 80er-Jahren Auseinandersetzungen ja sehr pointiert geführt, so, als würde von einer einzelnen Frage alles abhängen. Das hat natürlich zu einer entsprechenden Schärfe geführt. Wenn man das im Osten macht, dann erntet man Entsetzen. Ich hatte unheimliche Schwierigkeiten damit, dass im Osten Kritik immer auch als Angriff auf die Person verstanden wurde. Bis mir klar geworden ist, dass Kritik in der DDR die Tendenz hatte, für die Person gefährlich zu werden – Disziplinierungen in der Partei, berufliche Konsequenzen. Das traf auf meine Sucht, alles auf den Punkt zu bringen und sofort auf Entscheidungen zu drängen – da hat es erst einmal geknallt. Inzwischen habe ich mir einen etwas anderen Diskussionstil angewöhnt.

Gibt es diese kulturellen Unterschiede heute noch?

Harald Wolf: Immer weniger. Vor zehn Jahren war das noch unterscheidbarer.

Dennoch dürfte die alte PDS-Basis, die ja in vielen Dingen konservativer ist als Landesspitze und Fraktion, nicht immer mit Ihnen auf einer Linie liegen.

Udo Wolf: Kulturelle und politische Unterschiede bleiben nicht aus, wenn man sich in der PDS-Basis bewegt und dort diskutiert. Aber die Diskussionen werden ja nicht mehr nur auf einer ideologischen Ebene geführt.

Harald Wolf: Schwierig werden Auseinandersetzungen, wenn sie persönliche politische Biografien in Frage stellen. Als Gysi zum Beispiel 1990 gesagt hat, die SED war eine reaktionäre Partei, da gab es einen Aufstand. Diese Auseinandersetzungen sind schwer, weil es nicht nur um das Scheitern der DDR, sondern auch um persönliche Geschichte geht. Wir sind nicht Teil dieses Prozesses, weil unsere Geschichte eine andere ist. Wir haben natürlich auch politische Fehler gemacht, aber die hatten – aus Mangel an Möglichkeiten – geringe Auswirkungen.

Welche Fehler?

Harald Wolf: Wir haben beide Erfahrungen als Sektierer. In den kleinen politischen Gruppen der 70er- und frühen 80er-Jahre haben wir geglaubt, den Gang der Geschichte begriffen zu haben. Und diesen missionarischen Eifer, der durchaus im Marxismus angelegt ist, gab und gibt es in der SED auch. Der Mangel an Selbstzweifel und Akzeptanz gegenüber anderen Positionen ist ein mentaler Grundfehler der Linken.

Wie sind Sie als Westler in der PDS aufgenommen worden?

Harald Wolf: Zuerst hatte man als Wessi einen großen Bonus, weil die PDS 1990 froh über jeden Wessi war, der mit ihr kooperiert hat. Ich fand das aber falsch, einfach alles zu sammeln, was im Westen übrig geblieben war und mit seinen politischen Projekten gescheitert war.

Udo Wolf: Es gab schnell Vorbehalte gegen Besserwessis, weil manche Westgenossen sehr missionarisch aufgetreten sind. Die Schwierigkeit war, unsere unterschiedliche politische Herkunft zu vermitteln.

Sind Sie Fraktionsvorsitzender geworden, weil Sie aus dem Westen sind?

Harald Wolf: Ich denke zunächst einmal wegen meiner politischen Arbeit. Gleichzeitig macht eine Ost/West-Doppelspitze Sinn. Aber ich bin in der PDS ja keine unumstrittene Person. Das hat aber mehr mit meinen Positionen zu tun.

... die mit Ihrer West-Biografie in Verbindung stehen?

Harald Wolf: Das lag eher daran, dass ich in der ersten Legislaturperiode bis 1995 eine Reihe von sehr harten Kämpfen ausgefochten habe, zum Beispiel in der Frage Umgang mit MfS-Vergangenheit. Ich habe die Position vertreten, dass Leute, die mit dem MfS zusammengearbeitet haben und öffentliche Ämter einnehmen, das vor ihrer Wahl offen legen müssen. Sonst sind Rücktritte angesagt.

Worüber gab es noch Kämpfe?

Harald Wolf: Anfang der 90er-Jahre gab es in der PDS eine positive Haltung zur Olympiabewerbung Berlins. Wir haben gesagt, das ist völliger Quatsch. Damit haben wir uns durchgesetzt. Es gab auch die Vorstellung, dass man Berlin zur Ost-West-Metropole entwickeln könnte und war deshalb relativ offen gegenüber einer Stadtentwicklung in Umbau zur Metropolen. Das fanden wir fatal.

Was haben Sie als Wessis noch in in die PDS eingebracht?

Harald Wolf: Dass es im Berliner Landesverband ein stärkeres Bewusstsein über die Probleme von Regierungsbeteiligung gibt, hat natürlich auch mit unserer Erfahrung aus der rot-grünen Koalition zu tun. In Sachen Demokratie und Bürgerrechte versucht der Berliner Landesverband, sich als sozialistische Bürgerrechtspartei zu definieren. Daran haben wir einen Anteil.

Udo Wolf: Wir haben dafür argumentiert, dass Oppositionspolitik gegenüber einer Regierungsbeteiligung nicht minderwertig ist, sondern dass aus der Oppositionsrolle heraus manchmal sogar größere gesellschaftliche Veränderungen angestoßen werden können.

Gibt es in der PDS eine Westfraktion?

Udo Wolf: Nein, gar nicht. Es gibt eine Bezirkskoordination West, aber das hat nichts mit Positionen zu tun, sondern mit den Schwierigkeiten der Bezirksorganisationen im Westen auf Grund ihrer Schwäche.

Aber es gibt doch bestimmt Momente, in denen Sie sich ihren Westgenossen näher fühlen?

Harald Wolf: Nähe hat viel mit gemeinsamen Erfahrungen zu tun, und die teile ich auch nur mit einigen Westlern. Die Erfahrungen und Positionen von uns, die bei den Grünen waren, unterscheiden sich sehr von jemandem, der aus der SEW kommt. Da habe ich manchmal einen engeren Bezug zu jemandem wie Marion Seelig, die aus der Ost-Opposition kommt.

Ihr Austritt aus der AL 1990 war ein Eklat. Hat das Konsequenzen für Ihre persönlichen Beziehungen gehabt?

Udo Wolf: Ja, als wir den Austritt erklärt haben, gab es eine ganze Reihe Bekannter, die uns des Verrats bezichtigt und Freundschaften aufgekündigt haben. Es gibt Leute, die noch heute die Kommunikation verweigern.

Dann war der Austritt aus der AL auch ein persönlicher Bruch?

Harald Wolf: In doppelter Hinsicht: Die Grünen waren ja kein politisches Projekt, das einem äußerlich war. Das war ein Projekt, für das wir gekämpft haben und das ganz viel mit persönlichen Bindungen zu tun hatte. Das Verhalten einiger Leute hat bei mir Bitterkeit hinterlassen. Ich hatte damals wirklich so etwas wie Trennungsschmerz.

Sie sind aus zwei Gründe ausgetreten: aus Kritik an der rot-grünen Landesregierung und an der starren Abgrenzung der Grünen zur PDS. Haben Sie zu schnell aufgegeben?

Harald Wolf: Ich denke, nein. Wir haben damals gesagt, das ist eine ganz neue historische Situation, da muss Neues versucht werden. Aber als wir im Sommer 1990 mit Leuten wie Jens Reich, Bärbel Bohley, Katja Havemann, Gregor Gysi, Andre Brie und Petra Kelly diskutiert haben, ob es nicht möglich wäre, zur Bundestagswahl völlig jenseits unserer Parteistrukturen anzutreten und eine neue Opposition im vereinigten Deutschland aufzubauen, gab es panikartige Reaktionen bei den Grünen und ein richtiges Diskussionsverbot. Da haben wir ziemlich spontan die Entscheidung getroffen, auszutreten.

Auch diese Entscheidung haben Sie gemeinsam getroffen. Wie sehr gleichen sich die Brüder Harald und Udo Wolf?

Harald Wolf: Ich glaube schon, dass es viele Ähnlichkeiten gibt. Zum einen haben wir einen großen Fundus an gemeinsamen Erfahrungen. Es gibt selten richtig große Kontroversen. Wir sind beide relativ ruhige Typen, die zum Analytischen neigen, sich aber gleichzeitig unglaublich aufregen können, wenn politisch etwas schiefläuft.

Udo Wolf: Eine gemeinsame Schwäche ist die revolutionäre Ungeduld, die uns immer wieder befällt, wenn wir zum Beispiel in einer Auseinandersetzung etwas schon zwei- bis dreimal erklärt haben und meinen, dass es jetzt reicht. Und in politischen Auseinandersetzungen haben wir beide gerne Recht. Die Konflikte, die wir dann haben, die können sich auch länger hinziehen. Es fällt uns nämlich beiden schwer – vor allem gegenseitig –, zuzugeben, dass der andere Recht hat.

Es ist bestimmt nicht leicht, einen älteren Bruder zu haben, der ganz ähnliche Dinge macht, aber in der Öffentlichkeit wesentlich bekannter ist. Wie ist das für Sie?

Udo Wolf: Okay.

Fühlen Sie sich manchmal als der kleine Bruder?

Harald Wolf: Das ist vorbei, oder?

Udo Wolf: Vor vielen Jahren ist mir das auf die Nerven gegangen. Heute sage ich mir: Die Tätigkeit im Abgeordnetenhaus ist nicht mein Ding. Es ist ja auch nicht so, dass ich gar nicht in der Öffentlichkeit auftauche.

Reden Sie eigentlich immer über Politik?

Udo Wolf: Meistens schon. Außerhalb von Sitzungen sehen wir uns höchstens einmal im Monat. Aber es gibt ein Grundvertrauen, dass man sich aufeinander verlassen kann.

Kommen Sie aus einem politischen Elternhaus?

Harald Wolf: Unsere Eltern haben sich als Sozialdemokraten verstanden, aber politisch aktiv waren sie nie. Bei uns zu Hause gab es natürlich heftige Auseinandersetzungen, zum Beispiel über Gewaltanwendung in der Politik oder das Verhältnis zu den USA. Das gab dann Gebrülle am Mittagstisch und schlagende Türen.

Udo Wolf: Später gab es eine Annäherung. Wir haben ihnen zu Weihnachten einführende politische Lektüre geschenkt. In den 80er-Jahren haben sie angefangen, die Grünen zu wählen.

Und heute wählen sie PDS?

Udo Wolf: Das wissen wir nicht.

Was stört Sie heute an der PDS?

Harald Wolf: Ich wünsche mir ein durchdachteres Verhältnis zu der Frage, welche Rolle die PDS künftig im Parteiensystem einnehmen soll. Die Position, das Koalitionsmodell in Mecklenburg-Vorpommern sei besser als das Tolerierungsmodell in Sachsen-Anhalt, setzt sich langsam durch. Das halte ich für falsch. Man muss das Verhältnis zwischen politischen Wünschen und machbaren Strategien viel klarer formulieren. Das heißt auch, viel offener über einen Umbau von Institutionen, etwa des Sozialstaates, zu diskutieren. Bei Teilen der Partei besteht ja immer noch der Glaube, man müsse nur mehr Geld in das System pumpen, dann geht das.

Wo sehen Sie die PDS in zehn Jahren?

Udo Wolf: Wir müssen die Vorurteile im Westen abbauen und die Partei auf Bundesebene deutlich über fünf Prozent stabilisieren.

Harald Wolf: In zehn Jahren wird sich entschieden haben, ob die PDS im Westen Fuß gefasst hat und wer die dritte Kraft im Land ist. Dann wird sich auch zeigen, ob wir geschafft haben, was wir 1989/90 wollten, nämlich eine gesamtdeutsche sozialistische Partei.

Das Gespräch führten
Sabine am Orde und
Andreas Spannbauer