■ Otto Schily irrt: Gerade weil es homosexuelle Paare schwerer haben, müssen sie das Adoptionsrecht grundsätzlich bekommen
: Besser für die Kinder

Lesbische und schwule Familienformen gibt es seit Menschengedenken

Justizministerin Herta Däubler-Gmelin arbeitet an einem Gesetz, der so genannten „eingetragene Partnerschaft“ für homosexuelle Paare. Aber ein ganz wesentliches Recht wird darin ausgeklammert: das auf Adoption. Innenminister Otto Schily hat diese Streichung durchgesetzt. Aus SPD-Kreisen heißt es, den Kindern sei nicht zuzumuten, mit einem Elternpaar zu leben, das diskriminiert werde. Polemisch könnte man nun fragen: Sind die Diskriminierten dafür zu bestrafen, dass sie diskriminiert werden? Oder aber in Ruhe mit Otto Schily überlegen, was tatsächlich besser für die Kinder ist.

Kinder werden von Kindern und Erwachsenen diskriminiert – zum Beispiel, wenn die Eltern arbeitslos sind, wenn sie trinken, wenn die Mutter schwarz und der Vater weiß ist, wenn sie Juden, Türken oder sonst wie anders sind als die Mehrheit der Gesellschaft, in der sie leben. Aber alle diese Formen von Diskriminierung sind nicht zu vergleichen mit der, die ein Mädchen und ein Junge auszuhalten haben, deren Eltern zwei Frauen oder zwei Männer sind.

Das Kind, das von seiner Mutter und deren Freundin aufgezogen wird, und dann in den Kindergarten oder in die Schule kommt, hat gar keine Worte um auszudrücken, was in ihm los ist. Diese andere Frau, die die Mutter liebt, wird zur zärtlichen und sorgenden Vertrauten, ist aber nicht die Mutter. Sie übernimmt die zwischen Mutter und Kind so wichtige dritte Position, ist aber nicht der Vater – aber auch nicht bloß eine oder die allerbeste Freundin, sondern viel mehr und außerdem die Geliebte der Mutter. Aber in der Welt draußen ist sie gar nichts. Es gibt für sie keine Position im Familiengefüge, keine allgemein gültige Bezeichnung innerhalb der Familie, die andere kennen würden. Die beiden Frauen können noch so gute Eltern sein – auf der Seele eines Kindes lastet das alles sehr schwer. Zudem sehnt es sich auch nach dem Mann, dem Vater. Je mehr das Frauenpaar diese Suche überflüssig machen will, desto wahrscheinlicher ist es, dass die Tochter später auf chauvinistische Idioten hereinfällt.

An diesen seelischen Verstrickungen kann das Adoptionsrecht natürlich nichts ändern. Aber etwas sehr Wichtiges würde dadurch erreicht: eine juristisch fixierte und gesellschaftlich existierende Bedeutung für diese andere Frau, und auch eine gesellschaftlich anerkannte als auch einzufordernde Verantwortlichkeit dieser Frau gegenüber dem Kind. Das homosexuelle Elternpaar würde dem heterosexuellen Elternpaar gleichgestellt. Das kann das Adoptionsrecht ermöglichen, und das wiederum könnte sich auf die familiäre Stimmung zwischen diesen beiden Frauen mit ihren Kindern absolut günstig auswirken. Nach innen, in die Familie hinein, wie nach draußen, in die Gesellschaft.

Gerade weil sie es schwerer haben, gesellschaftlich anerkannt zu werden, müssen homosexuelle Paare das Adoptionsrecht grundsätzlich bekommen. Hier soll ja nicht etwas juristisch geschaffen werden, damit es das erst geben kann – die Situation, dass zwei Frauen mit Kindern zusammenleben, gibt gar nicht so selten; sozusagen seit Menschengedenken leben Menschen in lesbischen oder auch schwulen Familienformen.

Ein Beispiel nur: Der Katalog des Historischen Museums in Athen verzeichnet unter Nummer 28 ein Frauenpaar mit Kind aus dem 13. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung. „Ein Meisterwerk mykenischer Kleinplastik aus Elfenbein“, heißt es darin. „Dargestellt sind zwei Frauen, die sich umschlungen halten, und ein Kind im Schoß der einen. Die Bedeutung ist nach wie vor rätselhaft.“

Das Bild vom Frauenpaar mit Kind zeigt ein Vorrecht, das homosexuelle Frauen vor homosexuellen Männern haben. Zwei Frauen mit Kind toleriert die heterosexuelle Gesellschaft problemlos. In Kriegszeiten, wenn die Väter an der Front sind, ist das sogar Normalität. Aber zwei Männer mit Kind? Dagegen sträuben sich die Gefühle, unter Umständen sogar die Gefühle lesbischer Frauen. Der Grund dafür scheint mir das seit Generationen allgemein verbreitete Verhalten von Männern gegenüber Kindern zu sein. Kinder werden Frauen anvertraut.

Für das Frauenpaar ist ein Leben mit Kindern verbunden mit allen Freuden wie den üblichen Beschwernissen, aber dazu mit weit mehr steuerlich finanziellen Lasten, als für das Frau-Mann-Paar. Das kommt durch die ungerechte Gesetzeslage. Und dabei ist auch in Familien heterosexuell lebender Eltern der Ehemann der Mutter oft gar nicht mit den Kindern verwandt, wird aber von der Gesellschaft als Vater wahrgenommen.

Der Gedanke, dass homosexuell lebende Menschen Kinder großziehen, befremdet heterosexuell lebende Menschen – obwohl Erstere selbiges als Pädagogen fraglos seit Generationen tun. Heterosexuell lebende Menschen wollen wenigstens nicht gesagt bekommen, dass viele KindergärtnerInnen, LehrerInnen, SozialarbeiterInnen, TherapeutInnen, die ihnen viel Arbeit abnehmen, unter Umständen homosexuell leben. Die gedankliche Vorstellung von der Intimität des familiären Zusammenlebens – ein Frauenpaar mit Kindern, ein Männerpaar mit Kinder – führt bei den meisten heterosexuell lebenden Menschen zu der Befürchtung, die Kinder könnten dort Schaden in ihrer psychischen und sexuellen Entwicklung nehmen. Befürchtet wird, die Kinder könnten auch homosexuell werden. Vielleicht. Und? Andererseits wissen wir doch, dass homosexuelle Menschen fast immer heterosexuell lebende Eltern haben. Ist es nicht vielmehr so, dass Homosexualität ganz einfach zur Familie gehört?

Sind Diskriminierte dafür zu bestrafen, dass sie diskriminiert werden?

Es gibt in Hamburg inzwischen die Möglichkeit, dass in der Schule die Lebensgefährtin der Mutter für das gemeinsame Kind spricht. Sie kann sich sogar für dieses Kind in den Elternrat wählen lassen. Das bewirkt schon etwas. Die Co-Mutter ist existent für die anderen Mütter und Väter, für die Lehrerinnen und Lehrer. Ihr Zusammenleben mit dem Kind und der Mutter des Kindes wird gesehen und einbezogen in das gesellschaftliche Miteinander.

Die Erfahrungen in Hamburg haben übrigens auch gezeigt, wie froh und geradezu stolz heterosexuelle Eltern sind, wenn sie sich selbst gegenüber einem Frauen- oder Männerpaar als tolerant und aufgeklärt erleben dürfen.

Die spezifisch psychischen Nöte, in die Kinder eines homosexuellen Elternpaares geraten können, zu verringern, dafür kann der Rechtsstaat einiges tun. Das zu unterlassen, so wie bisher, und ein Grundrecht wie die Adoption einer bestimmten Menschengruppe, ohne Ansehen der Person, generell zu verweigern, hat tatsächlich etwas Asoziales. Der verbreitete Gedanke, homosexuell lebende Paare schadeten dem Wohl eines Kindes, könnte auch dazu dienen, die heterosexuelle Mutter-Kind-Vater-Familie idealer fantasieren zu können, als sie tatsächlich ist. Viola Roggenkamp