Heute bin ich mein eigener King

Mediävale Accessoires auf dem virtuellen Rollrasen: Computerspiele entführen in ferne Welten jenseits des Christbaums. Von Dinos, Pharaonen, Tarzan und Lara Croft berichtet  ■   Christoph Rasch

Wem der Familien-Tannenbaum in diesem Jahr nicht grün genug ist, der kann sich nicht nur alternativ in den Dschungel stürzen, sondern sogar zwischen männlicher oder weiblicher Idealbegleitung wählen. Ist, mit den Worten eines einschlägigen Fachmagazins gefragt, am Ende Indiana Jones gar die bessere Lara Croft? Während das buscherprobte Busenwunder in „Tomb Raider IV – The last Revelation“ (Eidos, 99 Mark) in gewohnter – um nicht zu sagen recycelter – Lara-Manier durch ägyptische Mysterien turnt, messen sich „Indiana Jones und der Turm von Babel“ (Lucas Arts/THQ, 80 Mark), sowohl an den Gesetzen der Schwerkraft als auch an „realeren“ Gegnern: wieder aufgewärmten „Sowjetsoldaten“.

Als völlig gewaltfreie und – trotz Lendenschurz – beinahe geschlechtslose Dschungel-Alternative nimmt sich da Disneys Comic-„Tarzan“ (Sony Playstation, 100 Mark) aus, wenn dieser munter durch die Vegetation hüpft und sich mit Leoparden balgt.

Dämonische Festtage hingegen sind auch zum unvermeidlichen „Millenniums-Weihnachten“ vorprogrammiert.

Vorausgesetzt, man schlüpft etwa in die Rolle der wiedergeborenen Dämonen-Jägerin Elayne im finsteren Actionspiel „The Wheel of Time“ (Legend/GT Interactive, 80 Mark). Oder ist als „Faust“ (Cryo, 90 Mark) im gleichnamigen Adventure Mephisto bei der Vergrößerung seiner Seelen-Sammlung behilflich.

Im etwas rasanteren „Dino Crisis“ (Virgin, 100 Mark, Playstation) sind die netten Echsen aus „Jurassic Park“ wieder auferstanden, um perfekt animiert für eine ordentliche Gänsehaut zu sorgen. Rohes Fest! Wo sich früher die Familie um das Brettspiel versammelte, trägt heute jeder alleine seine Schlachten vor dem Flimmerkasten aus - bevorzugt in „Echtzeit“ und im Mittelalter, was auch bei den folgenden Beispielen kein Widerspruch ist: „Heute bin ich mein eigener King“, heißt es etwa in „Age of Empires II – The Age of Kings“ (Microsoft, 90 Mark) wo man die virtuellen Rollrasen-Spielfelder mit mediävalen Accessoires, vom Eselskarren bis zur Kathedrale, bepflastern kann, um diese durch feindliche Ritter wieder kaputtschlagen zu lassen.

Einem ähnlichen Prinzip folgen auch das in den ägyptischen Wüstensand verlegte „Pharao“ (Havas Interactive, 90 Mark) oder die diversen elektronischen Wiedergänger des Brettspiels „Die Siedler“: Städte bauen, handeln und die Mitspieler in die Pfanne hauen ist mit „Catan – Die erste Insel“ (Ravensburger Interaktive, 90 Mark) nun auch ohne Brett möglich. Und ein „Siedler“-Erweiterungsset wartet mit weiblichen Protagonisten auf, die sich in einer archaischen Männerwelt strategisch behaupten - „Amazonen“ (Blue Byte, 90 Mark).

Wird man dieses mittelalterlichen Ränke-Geplänkel-Reigens überdrüssig, baut man statt Burg und Kontor eben Riesenrad und Pommesbude. In „Theme Park World“ (Bullfrog, 80 Mark) wird man im selbst gestalteten 3D-Vergnügungspark zum Herren der Achterbahnen und Loopings, die man auf ratternden Schienen ausgiebig selbst testen kann.

Denn „hoch hinaus“ will ja doch, wer sich über die Festtage vom familiären Esstisch nicht weiter entfernen kann als bis zu seinem Computer. Um dabei den eigenen Horizont nicht nur zu erweitern, sondern auch um 360 Grad drehen zu können, dienen Programme wie der „Flight Simulator 2000“ (Microsoft, 100 Mark). Bevor man hier mit dem Jet ultrarealistisch abhebt, merkt man angesichts des zuvor zu studierenden dicken Handbuchs, dass auch über den Wolken hinter dem Monitor die Freiheit keineswegs grenzenlos ist.

Zurück auf dem Boden der Tatsachen muss man auch feststellen, dass Sportsimulationen am Computer auch keine adäquate Methode sind, um den Weihnachtsspeck effektiv abzuarbeiten. Dafür kann man sich etwa als „Fußballer“ in „Fifa 99“ (Electronic Arts, 80 Mark) , als „Winter-Athlet“ in „Nagano Winter Olympics“ (Konami, 80 Mark) oder als „Rennwagen-Lenker“ in „Die 24 Stunden von Le Mans“ (Infogrames, 90 Mark) zumindest grafisch perfekt animiert über eine fernsehsportfreie Zeit hinwegtrösten: denn die dauerglotzenden „Couch-Potatos“ sind in Festzeiten entgültig passe, hoch leben die „3D-Chips“ hinter dem Joystick! Christoph Rasch