Ein Sylter Original:Trödler und Rebell

Als das große Geld die Insel überflutete, blieben für den Sammler und Strandläufer nur Ebbe und Bananenkartons mit landestypischen Kuriositäten. Ein knorriges Friesengewächs: Lever duad üs Slav  ■   Von Uwe Wandrey

Exzessiv leben oder gar nicht.“ Strandi stochert in der Schwarzwälder Kirschtorte und nippt an der Cola. Ein traditionelles Schlemmercafé am Morsumer Watt. Der Sonderling von Sylt hockt auf dem Polsterstuhl wie ein Hering auf dem Zehn-Meter-Brett. Ein wehmütig-bohrender Blick geht durch das Fenster: „Da draußen begann meine Karriere.“

„Auf See?“

„Im Schlick.“

Opa war Schollen- und Makrelenfischer. Als kleiner Buttje ging Strandi mit ihm bei Ebbe ins Watt, Würmer buddeln. Dann und wann zog er auch einen versteinerten Seestern oder einen alten Schuh aus der Versenkung. Während Nachbarskinder die Sterne am Himmel zählten, schärfte er seinen Blick für die Juwelen am Boden. Auch die Schiffe warfen damals noch genügend ab: Nach den Stürmen war er der erste, der den Strandsaum durchharkte. Mit dem Spürsinn eines Golddiggers fand Strandi Bernstein, wo andere nur Tang und Taue sahen. In einem abgewetzten Arztkoffer trug er seine Schätze davon.

Aber wohin damit? Im Haus der Großeltern, wo er aufwuchs, war es eng. Kein Wunder, dass Strandi schon früh das Weite suchte: „Im Winter wildern, natürlich auch Strandraub, im Sommer angeln, Schollen, Makrelen, Möweneier sammeln, es gab keine Jahreszeit, wo ich nichts vorhatte.“ Da hatte er seinen Spitznamen weg. „Gegen zehn Uhr morgens war ich schon auf der Rücktour, da hatte ich mein Fahrrad beladen mit Tauwerk, Fischerkugeln und Bojen.“

Konsequent durchpirschte „Strandi“ bald auch die Spülsäume der Zivilisation: Sperrmüllhalden, Flohmärkte, Kleinanzeigen. „Ich habe alles gehortet, was noch Gebrauchswert hatte.“ Er konnte einfach nichts wegwerfen. Ausgelesene Zeitungen und Altmetalle trug er zum Schrotthändler. „Ich hab schon recycelt, als die Grünen noch mit Lego spielten.“

So richtig gefunkt hatte es bei ihm mit zwölf Jahren auf einer Zwangsversteigerung. Von seinem Taschengeld ersteigerte er damals Bücher, Postkarten und Hausrat. „In der Wirtschaftswunderzeit wollte Otto Normalverbraucher Holz für die Lauben, Fußbodenbretter. Aber mir ist plötzlich wie'n Blitz gekommen: Ich musste Altertümer sammeln.“ – Logisch, dass so einer mal in einem Trödel-Museum wohnen würde.

Ebenso klar, dass einer, der auf seinem Sammelsorium hockt, finanziell kein Land sieht. Als das große Geld die Insel überflutete, blieb für Strandi nur die Ebbe. Und der Inhalt der Bananenkartons, die jetzt zu Hunderten im Erdgeschoss seines Elternhauses lagern. Strandi sammelt Gegenstände der Sylter und der nordfriesischen Arme-Leute-Kultur. Kaffeekannen, Postkarten, Bilder, Bücher, Andenken, Kleinkram, Kultur, für die in den beiden Sylt-Museen kein Platz ist. Warum? Friesen und Friesenfreunde blicken lieber auf eine schöne, heile Welt zurück. Kunsthistorikerin Gesine Thiess, Leiterin des „Altfriesischen Hauses“: „Damit sie nicht zugeben müssen, dass sie nur Getreidegrütze zu essen hatten. Vermeintliche Mängel werden da erbarmungslos zugedeckt.“ In ihren Augen wäre so manches aus Strandis Kartons einen Platz im Museum wert. Oder in einer Galerie: Von dem Kampener Maler Siegward Sprotte etwa besitzt er ein Dutzend Originale. Aber er will sich seine Sammlung nicht zerrupfen lassen, sondern alles in einem eigenen Museum zeigen. Doch das will man ihm nicht geben.

Die Daten sprechen wohl gegen ihn. Bürgerlicher Name: Hans Werner Jürgens, geboren 1949 auf Sylt. Adresse: eine Sozialwohnung in Westerland. Erlernter Beruf: Tischler. Ausgeübter Beruf Wasserbauwerker. Zur Zeit arbeitslos.

Wahrscheinlich verrät seine Akte auch, dass er ein unbeugsam knorriges Friesengewächs ist: Lever duad üs Slav. „Ich hab' mich schon früh für Politik interessiert. Mit 17 war ich Totalverweigerer und bin nicht anerkannt worden. Mein dickstes Ding war ein Flugblatt, da habe ich zur Kriegsdienstverweigerung und Ersatzdienstverweigerung aufgefordert. So bin ich mit Behörden in Konflikt geraten.

Strandi landete dafür sechs Monate in der Psychiatrie, obwohl er psychisch gesund war. Von seinem Behördenhass war er danach nicht geheilt. Das war in den späten Sechzigern. Doch die Studentenunruhen konnten ihn nicht mitreißen: „Ich bin Anarchist, aber nie in einer Partei gewesen.“ Mit Drogen und Alkohol hat Strandi nichts am Hut. Seine einzige Sucht ist die nach Unabhängigkeit und freier Wildbahn.

So einer, der gegen den Strom schwimmt, der abwartet und Beute macht, wenn die anderen noch schlafen – der hätte dem Störtebeker gefallen.

Die Beute ist zwar bescheiden. Doch sie reicht einem Outlaw, um beim Überfluss ringsum die Nase über Wasser zu halten. Mit Teetassen, Keksdosen, Notgeldscheinen, Postkarten von weggespülten Häusern und abgerissenen Hotels oder anderen greifbaren Überbleibseln vergangener Alltage flieht Strandi aus der talmiglitzernden Gegenwart in die arme, aber echte Welt seiner Vorfahren.

Jahrelang hat er im Küstenschutz sein Geld verdient. Strandhafer pflanzen, das war für ihn sinnvolle Arbeit. Doch seit zwei Jahren gibt es für einen wie ihn keine Jobs mehr. Schwer vermittelbar.

Einen bedauernswerten Eindruck macht er allerdings nicht: Seine Haut ist glatt und übers Jahr sonnengebräunt, das etwas schüttere Haar hellblond, halslang der Ziegenbart. Sein Körper ist zäh und muskulös, aber nicht von der Fitnessmaschine. Strandi läuft noch barhäuptig und mit blanker Brust herum, wenn andere schon Mütze und Pullover überstreifen. Ansonsten bewegt sich der Jäger, wie das Revier es verlangt: Dem Funkeln seiner friesisch blauen Augen und dem drahtig-elastischen Leib war schon so manche „Besucherdame“ erlegen.

Hat Strandi neben seinen Bananenkartons irgendeine Alterssicherheit? „Vielleicht mit 75 oder 80 oder noch älter 'ne alte Dame kassieren, zum Pflegen, so hin und her betüteln und betatteln.“ Strandis Blick geht über die Tische des Strandcafés. „Vielleicht auch 'ne junge. Das hab' ich noch am Laufen alles, da bin ich noch nicht so reif.“