Die Dinge verändern sich“

■  Die iranische Lyrikerin Simin Behbahani über die Situation von Schriftstellern in ihrem Heimatland und die Möglichkeiten zur Reform des Systems Islamische Republik

taz: Sie waren bereits vor zwei Jahren in Berlin. Damals haben Sie Kontakte zu Journalisten abgelehnt, weil das in Iran gegen Sie verwendet werden könnte. Jetzt nehmen Sie einen deutschen Preis an. Was hat sich verändert?

Simin Behbahani: Ich hatte noch nie im Leben Angst, die Wahrheit zu sagen. Aber damals war mein Kollege Faradsch Sarkuhi inhaftiert. Jede Reaktion von uns hätte sein Leben gefährden können. Da war es nicht angebracht, ohne Beratung mit meinen Kollegen etwas zu sagen.

Als Ihr Kollege Huschang Golschiri kürzlich den Erich-Maria-Remarque-Preis der Stadt Osnabrück bekam, titelte die konservative iranische Zeitung „Keyhan“: „Heil Huschang!“. Rechnen Sie mit ähnlichen Angriffen?

„Keyhan“ ist unser größter Feind. Die Zeitung hat bereits ungeheuerliche Vorwürfe gegen mich erhoben, von Prostitution bis zu Zusammenarbeit mit den Monarchisten. Alles war frei erfunden.

Die meisten ihrer Werke werden in Iran nicht veröffentlicht. Weite Teile der Bevölkerung kennnen sie nicht.

Leider stimmt das. Aber die Dinge verändern sich. Ich habe zum Beispiel auf einer Veranstaltung die Verbrechen der Regierung an Schriftstellern thematisiert. Ich habe über die Ermordung von Kollegen geredet und den Mangel an Freiheit. Dabei wurden Mikrofon und Licht ausgeschaltet. Das Publikum hat daraufhin mehr als eine Viertelstunde geklatscht, obwohl Sicherheitskräfte da waren. Mitarbeiter des Informationsministeriums wollten mich festnehmen, aber ein Vertreter vom Ministerium für Kultur und Religiöse Führung, dass die Veranstaltung organisiert hatte, hat dafür gesorgt, dass ich den Saal unbehelligt verlassen konnte.

Das Informationsministerium, das Sie vehaften wollte, ist auch für den Geheimdienst zuständig.

Ja. Wir wissen, dass die meisten Morde an Oppositionellen und Schriftstellern von Mitarbeitern des Informationsministeriums verübt wurden.

Werden die Morde ernsthaft untersucht?

Es sieht so aus, als wisse die Regierung genau, wer die Täter sind. Aber wir werden das wohl nie erfahren. Die Gerichte sind in Iran nicht öffentlich. Wir wissen nicht, was dort passiert.

Seit ihrem letzten Besuch ist in Iran ein neuer Präsident gewählt worden. Chatami gilt als Freund der Intellektuellen. Hat sich Ihre Situation seither verbessert?

Chatami hat uns einige Freiheiten zugestanden. Die Zensur ist eingeschränkt worden. Aber wir brauchen die vollständige Freiheit: Redefreiheit, Gedankenfreiheit, die Freiheit zu schreiben, was wir wollen, Religionsfreiheit. All das existiert noch nicht.

Ist das in einer Islamischen Republik überhaupt möglich?

In der Vergangenheit ist der Islam immer mit den von ihm anerkannten Religionen, Christentum, Judentum, Zoroastrismus, zurecht gekommen. Der Islam war kein Hindernis für sie.

Aber das System Islamische Republik ist neu. Ist es so weit reformfähig, wie Sie fordern?

Iran wurde nach den Angriffen der Araber islamisch. Aber viele unserer größten Wissenschaftler, Ärzte und Literaten waren Juden oder Christen. Früher konnten sie immer frei arbeiten. Der Islam hat die Ausübung anderer Religionen respektiert. Ich denke, dass das neue System diese Methoden übernehmen muss. Für uns Muslime war Zugehörigkeit zu einer anderen Religion nie ein Grund für Ausgrenzung.

Und das gilt auch heute für die Islamische Republik?

Die Bevölkerung will das so. Aber in dem religiösen Herrschaftsapparat gibt es Fanatiker.

Ist dieser Apparat so veränderbar, dass es Meinungsfreiheit gibt, dass Ihre Bücher gedruckt werden?

Wenn die Regierung es will, kann sie das durchsetzen. Natürlich müssten die Gesetze reformiert werden. Nach meiner persönlichen Meinung darf sich die Politik nicht mit Religion vermischen. Religion sollte eine Sache des Herzens sein. Wenn sie für politische Zwecke benutzt wird, verliert sie ihre moralische Stellung. Das ist meine Überzeugung.

Im vergangenen März wurde in Ihrer Wohnung der Unabhängige Iranische Schriftstellerverband gegründet. Vor Ihrer Tür marschierte damals der Geheimdienst auf. Ist der Verband inzwischen legalisiert?

Wir haben unseren Verband damals provosorisch gegründet. Am 25. November haben wir dann eine öffentliche Veranstaltung im Haus der Verleger abgehalten. Etwa 120 Schriftsteller haben einen richtigen Vorstand gewählt. Aber eine ganz wichtige Arbeit liegt noch vor uns: Wir brauchen die offizielle Zulassung des Ministeriums für Kultur und Religiöse Führung. Wenn das geschieht, gibt es nach 31 Jahren endlich wieder einen legalen unabhängigen Schriftstellerverband in Iran.

Hilft das Ministerium dabei?

Nicht direkt. Aber sie haben erstmals ausdrücklich erlaubt, dass wir uns treffen. Dafür musste sich Minister Mohadscherani vor dem Parlament verantworten.

Was sind die nächsten Aktivitäten des Verbandes?

Wir wollen mehr Lesungen veranstalten und versuchen, ausländische Schriftsteller in den Iran einzuladen und ausländische Schriften ins Persische zu übersetzen. Im Gegenzug wollen wir Möglichkeiten schaffen, damit unsere Schriftsteller ins Ausland reisen können und dass iranische Literatur in andere Sprachen übersetzt wird.

Viele Schriftsteller scheuen sich wegen der Affäre um Salman Rushdie in den Iran zu reisen.

Derzeit gibt es keine Äußerungen der Regierung zu Rushdie. Wir iranischen Schriftsteller haben keine Schwierigkeiten mit anderen Meinungen. Jeder darf schreiben, was er will. Ich denke, dass Rushdie keine Angst mehr zu haben braucht. Aber genau weiß ich es nicht.

Fühlen Sie sich als Muslimin durch Rushdies Buch beleidigt?

Ich habe mich sehr bemüht, das Buch zu bekommen, aber es ist mir in Iran nicht gelungen. Meiner Meinung nach sollte niemand in seinem Glauben beleidigt werden, egal welcher Religion er angehört. Auch das gehört zu den Prinzipen der Meinungsfreiheit.

Interview: Thomas Dreger