Ich bin nie wieder für eine Intervention“

■ Grünen-Parteichefin Radcke fürchtet, dass der Tschetschenien-Konflikt außer Kontrolle gerät

taz: Wieso hört man von Ihnen keine flammenden Plädoyers gegen den Tschetschenien-Krieg?

Antje Radcke: Es ist eine Stufe erreicht, wo ganz andere Leute flammende Plädoyers halten müssen, und die tun das ja auch.

Wer denn?

Unser Außenminister.

Stimmt, der hat gesagt, dass er sehr besorgt ist. Aber reicht das?

Ein Appell allein reicht nicht. Die EU-Minister beraten ja zur Zeit, was man tun kann, damit das Bomben endlich aufhört. Es ist nur das Problem, dass die IWF-Gelder die man streichen könnte, sowieso hauptsächlich zur Schuldentilgung eingesetzt werden.

Müsste man angesichts der humanitätren Katastrophe nicht eine Intervention androhen?

Nein. Bei der Kosovo-Intervention war für mich ganz klar: Wir waren in die Situation zu einem Zeitpunkt hineingeraten, wo wir mit friedlichen Mitteln nichts mehr beeinflussen konnten.

Auch bei Russland kann man mit friedlichen Mitteln offenbar nichts mehr beeinflussen.

Für mich war das Kosovo die absolute Ausnahme. Und ich würde eine solche Intervention auch nie wieder befürworten.

Gelten für Russland andere Maßstäbe?

Nicht was die Tat selber angeht. Aber ich muss gestehen, das ich ein sehr unbehagliches Gefühl habe, wenn Jelzin die atomare Keule schwingt. Auch wenn man es als das Gerede eines alten Mannes abtut. Man darf nicht vergessen, dass er unberechenbar ist.

Die Angst vor der Bombe hält den Westen zurück?

Die Angst vor einem Konflikt, der nicht mehr kontrollierbar wäre. Mein Hauptbeweggrund ist aber, dass ich nicht will, dass noch mal Bomben geworfen werden in der Hoffnung, Leid verhindern zu können, tatsächlich aber noch größeres Leid erzeugt wird.

Ist Russland der falsche Feind für die friedensbewegten Linken?

Ich will nicht bestreiten, dass wir als Grüne in unserer Geschichte das Verhältnis zur USA nicht richtig aufgearbeitet und nie eine klare Linie gefunden haben.

Wieso berührt Sie und die anderen Grünen das Flüchtlingselend der Tschetschenen weniger als das der Kosovaren?

Mich berührt das gleichermaßen. Aber in der öffentlichen Wahrnehmung spielt Tschetschenien eine geringere Rolle. Und das hat auf uns Grüne natürlich auch Auswirkungen.

Wie weit sollte die deutsche Regierung gehen?

Ich möchte, dass sie alle Möglichkeiten ausschöpft und die Risiken dabei abwägt.

Und weniger wolkig ausgedrückt?

Politischer Druck.

Sind Menschenrechte wichtiger oder staatliche Souveränität?

Das ist ein Konflikt, den auch die UNO noch nicht gelöst hat. Im Fall des Kosovo haben wir uns dafür entschieden, dass staatliche Souveränität nicht bedeutet, mit Menschen tun zu können, was man will. Man muss abwägen. Jeder ist in der Pflicht, sich einzumischen und nicht einfach zuzusehen. Aber das Einmischen darf nicht wieder zu einer Eskalation führen.

Interview: Silke Mertins